Platz da, ihr Hirsche!

Autor*in
Schneider, Stephanie
ISBN
978-3-328-30051-9
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Batori, Susan
Seitenanzahl
32
Verlag
Penguin
Gattung
Bilderbuch
Ort
München
Jahr
2022
Lesealter
4-5 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiVorlesen
Preis
14,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Ist der „Geheimplatz“ wirklich ein echter „Geheimplatz“ (o.S.)? Oder haben diesen Platz längst schon andere Tiere entdeckt? In diesem lustigen, aber auch nachdenklich stimmenden Bilderbuch geht es um das Miteinander-Teilen und um Toleranz und Akzeptanz, denn Platz ist doch für alle da!

Beurteilungstext

Ist der „Geheimplatz“ wirklich ein echter „Geheimplatz“ (o.S.)? Oder haben ihn schon andere Tiere entdeckt? In diesem lustigen, aber auch nachdenklich stimmenden Bilderbuch geht es um das Miteinander-Teilen (was Kindern häufig sehr schwerfällt) sowie um Toleranz und Akzeptanz. Kein Tier (und kein Mensch) hat einen absoluten Alleinanspruch auf einen Lebensraum und sollte ihn in einem demokratischen Beisammensein mit anderen Lebewesen teilen, denn Platz ist doch für alle da!
Drei abenteuerlustige und gut gelaunte Hirsche machen an einem schönen Tag einen Ausflug, fühlen sich wohl in ihrer Haut und fahren majestätisch in einem „extraschnellen Cabrio“ (o.S.) durch die Gegend. Es scheint ein sehr schönes Abenteuer zu werden und an einem großen See halten sie an. Die Rangordnung unter den drei Hirschen wird schnell offenbart: Der große Hirsch hat das Sagen und verkündet in einem erhabenen, über den Dingen stehenden Ton, dass es sich um einen besonderen „Geheimplatz“ (o.S.) handelt. Die zwei ahnungslosen (etwas naiven) Hirschfreunde sind sehr begeistert und ihnen ist insgesamt „ganz wunderbar zumute“ (o.S.), „denn so ein Geheimplatz, den niemand kennt, ist ja das Beste überhaupt“ (o.S.). Genau hier wird eine literarische Leerstelle konstruiert, die zur weitergehenden Reflexion anregt, denn der große Hirsch lehnt sich gemütlich auf die Rückbank und genießt die Sonne. Es stellt sich also die entscheidende Frage, wie gerissen der große Hirsch wirklich ist und ob er den anderen Hirschen das Ganze nur erzählt hat, um seine Ruhe zu haben. Explizit im Text erwähnt wird dies nicht, es regt aber zur Sinnfindungsdeutung dezidiert an!
Ein Wendepunkt in der Handlung tritt ein, als aus dem Nichts plötzlich ein Schwein auftaucht und sich das Tiere auf der Wiese mit einer Decke gemütlich machen möchte. Die Sichtweise der Hirsche, die auf dem Bild sehr schockiert aussehen, ist klar: „Nun hat man Glück und findet einen echten Geheimplatz, und dann kommt ein Schwein und macht alles kaputt“ (o.S.). Völlig empört sind die Hirsche dann, als sich das Ganze auch noch wiederholt, denn es kommen Federball spielende Hühner und viele weitere Tiere hinzu und alle genießen den Ort. Offenbar haben sehr viele Tiere entdeckt, dass es sich um einen wunderbaren Platz zum Spielen, Ausruhen und Baden handelt, sodass es nicht verwundert, dass es immer voller wird…
Viele Kinder können hier sicherlich Parallelen ziehen: Ob im Schwimmbad, auf dem Spielplatz oder bei sonstigen Aktivitäten zu Hause mit Geschwistern: Fast immer ist man nicht allein und muss sich den Ort oder Raum mit vielen weiteren Kindern teilen – was nicht immer so einfach ist. Den anderen Tieren scheint das alles aber gar nichts auszumachen. Im Gegenteil: Sie sind gut gelaunt, laden die Hirsche zum Mitmachen ein und nur die Hirsche haben „schlechte Laune“ (o.S.) und meckern, denn sie waren doch „schließlich zuerst hier“ (o.S.). Es würde sich nicht um ein Bilderbuch für Kinder handeln, wenn am Ende des Werkes nicht eine hoffnungsvolle Lösung gegeben werden würde, bei der die Hirsche viel dazulernen und nebenbei auch klar wird, dass ein superteures Cabrio auch manchmal ziemlich ungünstig ist.
Teilen kann eben auch sehr schön sein! Dass dieses Bilderbuch diese parabolische Lehre einschließt, dürfte offensichtlich sein, dennoch aber wird der moralisch-pädagogische Zeigefingerduktus erfreulicherweise einigermaßen zurückhaltend eingesetzt und über die Tierperspektive müssen die Kinder erst einmal Parallelen zu ihrem eigenen Leben ziehen. Der heterodiegetische Erzähler der Schrifttextebene hält sich mit expliziten Wertungen zurück und nur über das Stilmittel der Komik und die Erzählinstanz der Bildebene wird implizit eine Haltung eingenommen, die das Verhalten der Hirsche ins Lächerliche zieht. Die jungen Leserinnen und Leser können ansonsten dieses Bilderbuch aber auch ‚nur' als eine witzige Abenteuergeschichte lesen, bei der die Hirsche so einiges ‚ertragen‘ müssen.
Die Bilder sind nicht nur großformatig, sondern auch in vielen kräftigen Farben gehalten. Sie gehen erfreulicherweise bisweilen über den Text hinaus, indem sie über Mimik und Gestik der Figuren zusätzliche Sinnstiftungsprozesse anregen und die Komik des Buches verstärken. Auf den Bildern gibt es viel zu entdecken; sie laden zum Verweilen und genauem Hinsehen ein.
Insgesamt handelt es sich um ein schönes Bilderbuch für Kinder, dass auch in sprachlicher Hinsicht ästhetisch gestaltet ist und mit seiner bildhaften Sprache die Vorstellungsbildung im Kontext des literarischen Lernens zusätzlich anregt. Zugleich ist die Thematik des Buches sehr aktuell: Diversität, Anderssein, Akzeptanz, Toleranz sowie Transkulturalität und Inklusion sind auch im öffentlichen Diskurs wichtige Themen – aktuell wichtiger denn je.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von 170; Landesstelle: Nordrhein-Westfalen.
Veröffentlicht am 02.06.2022

Weitere Rezensionen zu Büchern von Schneider, Stephanie

Schneider, Stephanie

Grimm und Möhrchen - Ein Zesel zieht ein

Weiterlesen