Nur 300 km

Autor*in
Bertram, Rüdiger
ISBN
978-3-570-18072-3
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
256
Verlag
cbj/cbt
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
München
Jahr
2023
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüre
Preis
14,00 €
Bewertung
nicht empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

„Nur 300 km“ stellt eine Verbindung zwischen einem Road-Trip, zwei Jugendlichen, einer kürzer als gedachten Bahnfahrt, einer utopischen Verfolgungsjagd, einer geplanten Abschiebung und dem Ex-Chauffeur der Ex-Kanzlerin dar.

Beurteilungstext

Carl ist ein zwölfjähriger Teenager der seit einem Autounfall vor zwei Jahren im Rollstuhl sitzt. Sein Vater war Fahrer und hat den Unfall unversehrt überlebt. Seit diesem Tag plagen ihn jedoch Schuldgefühle, weshalb er seinen Job als Chauffeur von der Ex-Kanzlerin aufgibt, seine Familie verlässt und nur noch sporadisch Kontakt mit Carl hat.
Die Geschichte beginnt auf einer Autofahrt an die Ostsee wo Carls Mutter mit ihm Urlaub machen möchte. Carl ist jedoch nicht begeistert und wäre lieber in einem Rolli-Skate-Camp mit seinen Freunden. Am Strand wird Carl von einem Flip-Flop getroffen und freundet sich daraufhin mit der gleichaltrigen Flip-Flop-Besitzerin Fee an. Diese ist allein an der Ostsee, weil sie dort einen Tanz-Ferienworkshop besucht, an dem sie allerdings kein wirkliches Interesse hat. Zufälligerweise liegt die Jugendherberge jedoch genau neben dem heruntergekommenen Ferienhaus, das Carl mit seiner Mutter bewohnt. Ein weiterer Zufall ist, dass die beiden Carls Idol Manuel Bäcker, dem schnellsten Rollstuhl-Marathoni in Deutschland, begegnen. Carl und Fee sind auf einer Skateanlage, auf der Fee ausprobierte mit dem Rollstuhl zu skaten. Hierbei stürzte sie und besagter Manuel Bäcker kommt zu ihnen und versucht sie mit klischeehaften Aussagen zu motivieren. Sie könne alles schaffen, was sie sich wünsche, wenn sie nur hart genug dafür kämpft. Daraufhin steht Fee auf, läuft und sagt er habe recht und es sei ein Wunder. Nun soll er das gleiche versuchen. Wütend und schimpfend darüber, dass Fee ihn hereingelegt hat, verschwindet Bäcker.
Bei dem Sturz wurde Carls Rollstuhl beschädigt, weswegen er sich damit weder weit noch lange fortbewegen kann. Als Fee erfährt, dass Carls Vater die Ex-Kanzlerin kennt, fängt sie an, Carl zu überreden gemeinsam nach Berlin zu reisen. Im weiteren Verlauf stellt sich heraus, dass Fee eine Freundin hat, die abgeschoben werden soll, weswegen sie die Ex-Kanzlerin treffen und um Hilfe bitten möchte. Carl erfährt davon jedoch erst sehr spät im Verlauf der Geschichte.
Die beiden schmieden also den Plan nach Berlin zu reisen, klauen bzw. borgen vorher den Rennrollstuhl von Manuel Bäcker, der vor dessen Luxushotel angekettet ist. Im Zug stellt Fee beim Blick auf das Handy eines Reisenden fest, dass sie schon polizeilich mit Bildern gesucht werden.
Sie steigen schnell aus dem Zug aus, landen in einem kleinen Dorf und Fee postet von ihnen Videos auf einer Internetplattform. Durch Zufall stellt Carl fest, dass Bäckers Rennrollstuhl einen geheimen Motor hat, weswegen er vermutlich alle Rennen gewinnt. Durch die Internetplattform wird Bäcker auf sie aufmerksam und verfolgt sie, da er seinen besonderen Rollstuhl wiederhaben möchte. Bäcker und dessen Begleiter verfolgen Carl durch einen dichtbewachsenen Wald mit ihren Trikes. Hierbei schüttelt Carl ALLE Verfolger ab, mit einem RENNROLLSTUHL, im WALD...
Fee und Carl landen am Ende in Berlin, wo Carls Vater schon auf sie wartete. Sie erzählen die Geschichte über die geplante Abschiebung. Kurzerhand leiht sich Carls Vater ein Auto und fährt mit den Kindern zur Datsche der Ex-Kanzlerin. Diese sorgt dann dafür, dass die Abschiebung von Fees Freundin gestoppt wird.
Der Roman wird von dem Protagonisten Carl erzählt. Dieser betont immer wieder, dass es sich ja nicht um ein Buch bzw. eine Geschichte sondern sein Leben handle. Mit dieser Aussage des Protagonisten erzielt Rüdiger Bertram immer wieder den Eindruck, als würde er eine realistische, wahre Begebenheit erzählen.
Im Prolog wird Fee von Carl zitiert: „Es geht doch nicht immer nur um deinen Rolli“. Dieser Satz ruft von Beginn an gewisse Erwartungen und die Hoffnung, dass dies ein Buch ist, was das Thema Behinderung auf eine nicht stereotypisierende, stigmatisierende Art und Weise thematisiert, auf. Doch m.E. tut der Roman genau das. Der Rollstuhl ist kontinuierlich Thema und wir erfahren über Carl selbst kaum etwas. Man erfährt lediglich das Verhältnis zwischen Carl und seinem Vater und dass Carl gerne skatet. Natürlich erfährt man von einem Ich-Erzähler auch Gefühle und Gedanken in den einzelnen Situationen, aber auch diese wirken teilweise sehr eindimensional. Fee dagegen wird als mehrdimensionaler nicht leicht durchschaubarer und berechenbarer Charakter dargestellt und scheint ein Versuch zu sein, Grenzen und Barrieren zu überschreiten. Denn Fee thematisiert scheinbare Tabus, stellt direkte, meist unverschämte Fragen und wirkt dadurch als Gegenversuch der Tabuisierung des Themas Behinderung. An dieser Stelle polarisiert der Autor meiner Meinung nach stark. Denn auf der einen Seite stehen diejenigen, die Carl mit Mitleid begegnen und auf der anderen Seite Fee. Dazwischen tritt nur sehr punktuell eine einzige Person auf, die den Rollstuhl überhaupt nicht thematisiert und Carl genauso behandelt wie Fee. Diese Person ist Kim, die Tochter des Asia-Imbissbesitzers, bei dem Carl und Fee etwas zu essen kaufen.
Der scheinbare realistische Anspruch, den Bertram offensichtlich an sein eigenes Werk stellt, wird dadurch teilweise ins Groteske gezogen, dass er auf der einen Seite versucht Barrieren eines im Rollstuhllebenden Menschen zu beschreiben, die dann jedoch ins Komische übergehen. So landet Bäcker bei der Verfolgungsjagd am Ende im See, der Rollstuhlaufzug des Ferienhauses wird nicht nur als langsam beschrieben, nein es wird noch visuell verdeutlicht, indem über 16 Zeilen die Buchstaben„BRRRRRRRRR“ als Onomatopoetika getippt wurden und zwar an jeder Stelle wo der Aufzug verwendet wurde. Am Ende wird beschrieben, wie Bäcker, dessen Rollstuhl von Carl im Wald zurückgelassen wurde, mit einem massiven Strandrollstuhl an einem Rolli-Wettrennen teilnimmt. Er ist mit weitem Abstand der letzte. Diese Stelle wird ins Lächerliche gezogen und ich frage mich ganz ehrlich, ob das nötig ist. Vielleicht bekommt man in wenigen Tagen keinen Ersatz-Rennrollstuhl, aber es sollte den Lesenden bewusst sein, dass Bäcker niemals mit einem massiven Strandrollstuhl hätte an diesem Wettrennen teilnehmen müssen. In jedem Krankenhaus, Sanitätshaus oder ähnlichem gäbe es die Möglichkeit einen Rollstuhl zu leihen. Falls hier also ein Defizit der medizinischen Versorgung aufgezeigt werden sollte, wurde dies nicht deutlich genug thematisiert. Wenn der Rollstuhl, der als Hilfsmittel zur Autonomie des Rollstuhlfahrenden dient, jedoch zum Gegenstand der Komik umfunktioniert wird, hat dies nichts mit einer realistischen Darstellung von Behinderung zu tun - leider nicht zu empfehlen.

Anmerkung

Wird das Buch als Klassenlektüre oder generell gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen gelesen, sollte sich vor allem mit der Inszenierung von Behinderung und Barrieren kritisch auseinander gesetzt werden.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Jana Sabrina Lange; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 23.02.2024

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