Nebenan ist doch weit weg

Autor*in
Bones, Antje
ISBN
978-3-423-64113-5
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Szyszka, Michael
Seitenanzahl
290
Verlag
dtv
Gattung
Buch (gebunden)
Ort
München
Jahr
2023
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüre
Preis
16,50 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Die zwölfjährige Edith verabschiedet sich von ihrer Wohnung, ihrer Schule, ihren besten Freundinnen. Wann wird sie all das wiedersehen? Und vor allem: Wird sie ein wirkliches neues Zuhause finden? Im anderen Land – „nebenan“, aber eben auch doch weit weg. Ihre Familie zieht ins polnische Krakau und Edith ist alles andere als glücklich damit. Aber dann findet sie nicht nur neue Freunde und sondern erlebt ein Abenteuer, das seine Wurzeln ganz weit in der Geschichte hat.

Beurteilungstext

Ediths Mutter lehrt an der Universität, ihr Vater ist Restaurator. Beide haben attraktive neue Stellen gefunden – allerdings nicht im heimatlichen Berlin, sondern im Süden Polens, in der alten Königsstadt Krakau. Edith ist voller Ängste und voller Wehmut, weil sie ihren Kiez verlassen und sich von Anne und Jack, den besten Freundinnen, verabschieden muss. Wie wird das Einleben in Polen vor sich gehen; wie wird sie an der neuen Schule aufgenommen werden und vor allem – wird sie mit der Sprache klarkommen? Ein wenig Polnisch hat sie zwar gelernt, dabei aber schnell bemerkt, wie kompliziert die Sprache für Deutsche zunächst ist. Das Haus, das ihre Eltern gekauft haben, gefällt ihr ganz gut, schließlich hat es einen schönen Garten und bietet jede Menge Platz. Auch Krakau mag sie bald. Vor der Schule allerdings hat sie nicht wenig Angst. Dass erste Sprachversuche im Polnischen gelingen, gibt ihr ein wenig Mut. Schließlich kommt der erste Schultag und alles gestaltet sich weniger herausfordernd, als sie befürchtet hatte. Natürlich ist sie „die Neue“, aber niemand verhält sich ablehnend oder feindlich. Rasch freundet sie sich mit Milena an, einem etwas eigenartigen Mädchen mit klaren Prinzipien und einem freundlichen Wesen. Milena ist die erste Person, die Edith kennen lernt, die einen festen Glauben lebt und sich nicht darum kümmert, was andere Menschen dazu sagen. Bald schließt sich Antek den beiden Mädchen an – ein scheuer Junge, der die meiste Zeit vor dem Computer verbringt und als „Nerd“ gilt. Die drei unternehmen Ausflüge und lernen dabei unter anderem die jüdische Buchhandlung von Jerzy kennen, im alten jüdischen Viertel Kazimierz. Edith war im neuen Haus aufgefallen, dass eine Stelle an der Wand neben ihrem Zimmer hohl klingt. Gemeinsam mit den beiden neuen Freunden bricht sie ein Loch hinein und die drei entdecken ein kleines geheimes Zimmer. Was sie aber am meisten verblüfft: Das Bündel Briefe, das hier liegt; Briefe in kindlicher Schrift, die ein Mädchen – Kaia – und der Junge Elias vor anscheinend langer Zeit getauscht haben. Warum aber schrieben die beiden Briefe, wo es doch so aussieht, als hätten sie im selben Haus, wenigstens aber in der Nachbarschaft gelebt. Das Geheimnis gilt es aufzulösen und mit Hilfe von Jerzy lüften sie nach und nach den Schleier. Es stellt sich heraus, dass Kaias Familie Ediths Haus einst gehörte und dass sie augenscheinlich einen jüdischen Jungen vor den Verfolgungen der Nazis versteckt hielten. Antek gelingt es sogar, im Internet herauszufinden, dass Elias noch lebt – als angesehener Architekt und hochbetagt in New York. Als er ihre Mail beantwortet, erleben Edith, Milena und Antek das als einen Festtag.
Antje Bones hat sich einer Thematik angenommen, die nicht besonders häufig Eingang in die Kinder- und Jugendliteratur findet. Bücher über die Schicksale von Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind, gibt es mittlerweile in großer Zahl – Bücher, die davon berichten, wie es jungen Deutschen ergeht, die im Ausland leben, wenige. Dabei sind in der letzten Dekade im Schnitt gut 200.000 Menschen jährlich aus Deutschland ausgewandert. Die Autorin versucht, die Umstände, unter denen Kinder in einem anderen Land ankommen, plastisch und jugendgemäß zu erzählen. Sie thematisiert den Abschiedsschmerz vom alten Zuhause, die Ungewissheiten, denen sie sich gegenüber sehen und die Problematik, in einer anderen Sprache zurechtzukommen. Nur wenig Platz nehmen Vorurteile und Anfeindungen auf Grund der anderen Nationalität ein, werden aber auch nicht verschwiegen. Manche Aspekte werden etwas oberflächlich ausgeführt. So ist wenig glaubhaft, wie schnell sich Edith im Polnischen behauptet – einer Sprache, die für deutsche Lernende lexikalisch, grammatikalisch, insbesondere auch phonetisch durchaus Herausforderungen bereithält. Auch andere kulturelle Prägungen, zum Beispiel im Unterricht, spielen zwar eine Rolle, werden aber mehr angedeutet als ausgeführt. Anfangs ist das Erzähltempo des strikt chronologisch in einem Wechsel aus Ich-Perspektive und Ediths Tagebucheinträgen ausgearbeiteten Plots beschaulich; mit dem Geheimnis des verborgenen Raumes und der Briefe nimmt es allerdings „Fahrt auf“. Die fürchterlichen und verbrecherischen Aspekte der Geschichte des Zweiten Weltkriegs werden glaubwürdig und fesselnd dargestellt; auch wenn auffällt, dass Edith zuvor erstaunlich wenig für eine zwölfjährige Deutsche aus akademischem Elternhaus darüber weiß. Die neue Freundin Milena wie auch Antek werden eindrücklich charakterisiert; Ediths Eltern und andere Figuren bleiben etwas blasser. Insgesamt ist Antje Bones ein schönes Buch über Fremdsein und Ankommen, über Geschichte und Gegenwart der benachbarten Völker und auch über Freundschaft und Vertrauen gelungen. Die Vignetten von Michael Szyszka bereichern auf witzige und originelle Weise das Buch, ohne aufdringlich zu wirken.

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Diese Rezension wurde verfasst von RPKJ; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 14.10.2023