Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims

Autor*in
, Pitcher
ISBN
978-3-442-31253-5
Übersetzer*in
Schmidt, Sibylle
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
221
Verlag
Gattung
Ort
München
Jahr
2012
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Klassenlektüre
Preis
16,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Fünf Jahre sind vergangen, seit Jamies Schwester Rose bei einem terroristischen Anschlag getötet wurde. Seine Eltern scheinen seitdem an ihrer Trauer zu zerbrechen; sein Vater trinkt, seine Mutter hat die Familie verlassen und Jasmine, Roses Zwilling, hat ihr Äußeres radikal verändert und beschlossen, kaum noch etwas zu essen. Kurz: Seine Familie fällt auseinander. Bloß Jamie musste noch immer nicht weinen. Für ihn ist Rose nur eine verblassende Erinnerung. Doch das scheint niemand zu verstehen.

Beurteilungstext

Annabel Pitcher ist gebürtige Britin und veröffentlichte mit "Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims" (im englischen Original: "My Sister Lives on the Mantelpiece") im Jahr 2011 ihren Debütroman. Die Idee für ihr erstes Buch kam der jungen Schriftstellerin mitten in der Nacht in einer Jugendherberge in Äquador, als sie gemeinsam mit ihrem Ehemann die Welt bereiste.
Den Hardcover-Einband ziert nun das Gesicht eines Jungen, das nur zur Hälfte zu sehen ist. Er hat rote Haare und auffallend grüne Augen. Der Betrachter fühlt sich von diesem Blick sofort in den Bann gezogen und gleichzeitig entsteht die Neugier herauszufinden, welche Geschichte diese Augen zu erzählen haben. Mindestens genauso packend sind dann auch die ersten drei Sätze: "Meine Schwester Rose lebt auf dem Kaminsims. Na gut, ein Teil von ihr. Drei Finger, ihr rechter Ellbogen und ihre Kniescheibe liegen in einem Grab in London.", mit denen der Leser direkt in das Geschehen und in die Gefühlswelt des Protagonisten Jamie hinein geworfen wird.
Jamie ist erst zehn Jahre alt und viel mehr als alles andere interessieren ihn sein Kater Roger, sein Spiderman - T-Shirt und seine neue Freundin Sunya. Doch nichts verläuft so, wie er es sich vorstellt und deswegen muss er sich ständig auch mit anderen Dingen befassen. Da wäre zum Beispiel seine Mutter, die die Familie verlassen hat, um mit einem neuen Mann zusammenzuleben und endlich wieder glücklich zu werden. Fernab von dem alten Schmerz und der Trauer, um ihre verstorbene Tochter Rose. Jamies Vater, der nach dem Verlust von Rose vermehrt zu Alkohol griff und in London keine Arbeit mehr hatte, beschließt daraufhin mit Jamie und Jasmine in den Lake District umzuziehen. Für einen Neuanfang. Schon bald bemerkt Jamie jedoch, dass sein Vater immer noch genauso viel trinkt, wie vorher in London und dass es mit dem Job auch nicht klappt wie versprochen. Das Haus und die Umgebung sind neu, doch scheint sonst alles beim Alten. Vaters Groll gegenüber Muslime hat sich ebenso keineswegs geändert, sodass Jamie angestrengt versuchen muss seine neue Freundin Sunya vor ihm geheim zu halten. Auch Rose ist in ihrer Urne mit umgezogen und wird vom Vater genauso vergöttert, wie zuvor. Zu guter Letzt wäre da noch seine Schwester Jasmine, die sich wirklich bemüht, die Lücke zu füllen, die durch die fehlende Fürsorge der Eltern entstanden ist. Doch hat Jasmine als Teenager schließlich noch ihre eigenen Sorgen und Probleme und kann sich eben nicht um alles kümmern. Trotz alledem glaubt Jamie ganz fest daran, dass seine Mutter eines Tages wieder zu ihnen zurückkehren wird. Immerhin wird sie das Spiderman - T-Shirt, das sie ihm zum Geburtstag geschickt hat, ganz bestimmt einmal an ihm sehen wollen, so hat sie es versprochen. Als Jamie dann eine Fernsehwerbung für eine Talentshow sieht, ist er sich plötzlich ganz sicher, dass dies alles ändern und sie alle wieder zusammen bringen könnte - ein für alle Mal.
Annabel Pitcher lässt es nicht zu, dass sich ihr Protagonist für eine Seite entscheiden muss oder jemanden unangemessen beschuldigt. Für den Zehnjährigen sind die Dinge nicht nur schwarz oder weiß, weswegen er auch nicht ganz verstehen kann, warum sein Vater Muslime so sehr hasst, oder er mit Sunya, dem netten, äußerst cleveren Mädchen an seiner Schule, nicht befreundet sein darf. Jamie ist unvoreingenommen und lässt sich von Äußerlichkeiten, wie beispielsweise einem Kopftuch, nicht beirren. Für ihn zählen tatsächlich die inneren Werte und Gesellschaft, Trost und sogar Liebe findet er schließlich nur bei ihr- seiner einzigen Freundin an der ganzen Schule.
Dieser Roman ist unglaublich lebensnah, da Pitcher unmittelbar beschreibt, wie Menschen mit schwierigen Situationen umgehen. Die Autorin lässt ihren personale Erzähler unbeirrt und gnadenlos ehrlich auftreten, mit einer Art schwarzen Humor, wenn beispielsweise der zehnjährige Jamie über die Überreste seiner Schwester redet, die teilweise beerdigt und teilweise eingeäschert wurden. Jamie sieht keinen Grund dafür die Wahrheit zu verbergen oder irgendwie zu beschönigen und genau daher rührt der Humor. Ergreifende und emotionale Momente erscheinen durch den sanften Humor plötzlich lustig und bringen den Leser sogar zum Schmunzeln, da sie in neuem Licht, aus dem Blickwinkel des zehnjährigen Protagonisten, betrachtet werden. Pitcher findet unglaublich passende, sehr bildhafte Vergleiche, die das Lesen sehr angenehm machen und durch die mitreißende Hoffnung und Tapferkeit des kleinen Helden kann man das Buch einfach nicht mehr aus der Hand legen. Jedoch nicht weil es gruselig, voller Action oder unfassbar spannend ist, sondern viel mehr, weil man sicher gehen will, dass es Jamie am Ende gut geht.
Der Roman lässt sich vermutlich innerhalb eines Tages lesen, doch wird er auf ewig im Gedächtnis bleiben.

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Diese Rezension wurde verfasst von ab.
Veröffentlicht am 01.01.2010