Meine freie deutsche Jugend

Autor*in
Rusch, Claudia
ISBN
978-3-10-066058-9
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
160
Verlag
S. FISCHER
Gattung
Ort
Frankfurt a.M
Jahr
2004
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
14,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

In 25 kurzen Erzählungen lässt Claudia Rusch ihre Kindheit im Umfeld der DDR-Bürgerrechtsbewegung Revue passieren. Auf Rügen geboren zieht sie als Kind mit ihrer Mutter nach Berlin, wo sie zwischen Stasi-Spitzeln und Honecker-Witzen aufwächst. Hier ist eigentlich alles wie im Westen - nur etwas anders.

Beurteilungstext

Das Buch von Claudia Rusch, das aus vielen kurzen Erzählungen besteht, bildet einen erfrischenden und längst überfälligen Kontrast zu dem ostalgischem Wir-Gefühl, das Jana Hensels Zonenkinder heraufbeschwört. Hier wird kein fragwürdiges Generationskonstrukt geschaffen, das auf der einen Seite auf Abgrenzung, auf der anderen Seite auf Annäherung und Anpassung abzielt. Statt dessen bilden die Geschichten von Rusch den subjektiven Hintergrund einer unbeschwerten Kindheit, in der sich amüsante Naivität mit der Abgebrühtheit der erwachsenen Erzählerin abwechselt. Anstatt den Fehler zu begehen, die Geschichte der Wende-Kinder erzählen zu wollen, findet die Autorin die richtigen Worte für ihre eigenen Erinnerungen und persönlichen Erfahrungen. Mit viel Ironie und einem unmerklichen Schulternzucken, das man zwischen den Zeilen zusammen mit einem einfachen "So war es eben" erkennen kann, sind die Geschichten von einer Ehrlichkeit geprägt, die bis auf die letzte Seite überzeugt.
So liest man keine Rührung oder übertriebenes 'historisches Bewusstsein' aus den kurzen Anekdoten heraus, sondern deutliche Wut, wenn die Erzählerin erkennt, wie banal manche Dinge im Innern sind und mit welcher Naivität sie selbst durch ihre Kindheit spaziert ist.
Die Erzählerin beschreibt diese Kindheit als eine Gratwanderung zwischen den eigenen Interessen, durch die sie sich von den Anderen abgrenzt, und der Ambivalenz, die durch die politischen Ideale der Mutter in ihr Leben tritt. Durch den Umgang mit politisch engagierten Mitgliedern der Bürgerrechtsbewegung, die ständig unter Beobachtung standen, wirken äußere Faktoren auf ihre Sozialisation ein, die ihre Kindheit entscheidend prägen.
Ohne vorschnelle Bewertungen abzugeben oder zu moralisieren, schafft Rusch eine Schwelle zwischen Alltagsbeschreibungen in der DDR und der eigenen Kindheit, indem sie weniger unpersönliche Symbole oder verallgemeinernde Handlungsträger aufführt, sondern die Menschen aus ihrer näheren Umgebung die Hauptrolle spielen lässt - Menschen, die sie sowohl im positiven als auch im negativen Sinn geformt haben. So ist eine Erzählung vollständig ihrer ehemaligen Direktorin gewidmet, die sich trotz aller Widerstände für sie eingesetzt hat.
In der Episode, wo sich Rusch an ihre Jugendweihe erinnert, wird eine sprachliche Qualität offenbart, die sich auf der einen Seite durch eine knappe, meist locker-humorvolle Ausdrucksweise, auf der anderen Seite durch einen ernsten Tonfall auszeichnet, der allerdings nicht in die Gefahr gerät, in sentimentale oder pathetische Platituden abzurutschen
Auch wenn ein roter Faden in den Erzählungen fehlt und sie daher teilweise etwas konfus aneinander gehängt scheinen, so überwiegt doch der kompositorische Gesamteindruck: Späte Erkenntnisse und wichtige Erfahrungen überkreuzen sich mit amüsiert-leichten Erinnerungen, wodurch sich das Buch (trotz des überflüssigen Nachwortes von Wolfgang Hilbig) als überaus geeignete Lektüre für Jugendliche, die mehr über den Alltag in der DDR erfahren wollen, qualifiziert.

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Diese Rezension wurde verfasst von RD.
Veröffentlicht am 01.01.2010