Mädchen in Scherben

Autor*in
Glasgow, Kathleen
ISBN
978-3-7335-0415-1
Übersetzer*in
Hergane, Yvonne
Ori. Sprache
Amerikanisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
445
Verlag
Gattung
Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
Frankfurt/Main
Jahr
2018
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
14,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Ich erinnere mich an die Sterne in jener Nacht. Wie Salzkristalle funkelten sie am Himmel, als hätte jemand den Streuer auf einem sehr dunklen Stoff ausgekippt. Schließlich dachte ich, sie wären das letzte, was ich sehen würde, bevor ich sterbe.

Beurteilungstext

Charlotte erwacht in der Psychiatrie. Aus ihren Erinnerungen erfahren wir nach und nach, wie viel „Scheiß“ sie in ihrem Leben schon hinter sich hat. Der Vater beging Selbstmord, die Mutter schlug die Tochter, in der Schule wurde sie gemobbt und begann zu ritzen. Ihr Leben änderte sich, als sie Ellis kennenlernte. Eine Freundin im Wirbel der Obdachlosigkeit, Musik, Männergeschichten, Alkohol und Drogen. Charlie bricht zusammen, als Ellis sich umbringen will und danach geistig nicht mehr da ist.
Doch wegen Geldmangel muss die 17-jährige den geschützten Raum der Psychiatrie wieder verlassen. Im zweiten Teil darf Charlie in der Wohnung eines Freundes in Arizona wohnen, findet einen Job in einem Café und eine eigene Wohnung und schafft es, mit dem Ritzen aufzuhören. Doch sie hält sich für wertlos und wird die Freundin des Alkoholikers Johnny. Sie kann nicht über ihre Geschichte reden. Doch ihre Zeichnungen werden bekannt.
Im dritten Teil zerschlägt sich die Beziehung zu Johnny auf brutale Art und Weise. Charlie besäuft sich und ritzt zum ersten Mal wieder. Kolleginnen aus dem Café kommen zur Hilfe, verschaffen ihr Ruhe. Charlotte fühlt sich als Teil der Gemeinschaft und sieht zum ersten Mal eine Zukunft für sich.

„I can never win with this body I live in“ als Zitat vor dem ersten Teil ist das Leitmotiv des Buches. Die Leserin erfährt nach und nach, wie sehr Charlie sich verstümmelt hat. Wie sie es braucht, über etwas die Kontrolle zu haben, und wie sie es liebt, sich danach zu verbinden, sich um sich selbst zu kümmern. Die Ich-Erzählung klingt sehr authentisch und realitätsnah.
Die Leserin wird ganz tief in Charlies Gefühle hineingezogen, möchte sich selbst vor der Welt verkriechen und versinkt mit der Protagonistin in den Schmerz, die Schuld, die Einsamkeit und in die Verzweiflung, dass es niemanden gibt, der sie liebt. Weil sie so wenig liebenswert und ansehenswert ist, dass niemand sie lieben kann.
Und weil diese Welt so auf das Äußere ausgerichtet ist, dass Hässliches, Zerbrochenes keinen Platz darin hat.
Welche Jugendliche hat nicht schon einmal ähnlich empfunden?

Die Protagonistin sieht ihren Job als große Chance und kämpft darum, aus der Obdachlosigkeit herauszukommen. Wie schwer das mit dem wenigen Geld ist, das sie als Tellerwäscherin verdient, können sich die meisten deutschen Jugendlichen nicht vorstellen. Wie es sich ohne Handy, ohne Konto, ohne Informationsmöglichkeiten lebt, wie wenig Rückzugsorte es gibt. Würden sie Charly auf der Straße sehen, wären sie angeekelt. Ein Erfolg dieses ersten Jugendbuches der Autorin Kathleen Glasgow ist es, mit der Protagonistin zu fühlen, bei jedem kleinen Erfolg mitzufiebern, bei jedem Rückfall sich selbst getroffen zu fühlen. Mit dem kleinen Hintergedanken: Könnte mir das auch passieren?
Nicht nur das Mädchen Charlie ist beeindruckend gezeichnet, auch die wichtigen Nebenfiguren überzeugen und wirken stimmig.
Die Sprache ist bildhaft. Im ersten Teil erzeugen die kurzen, wirren Sätze eine düstere Atmosphäre. Ab dem zweiten Teil wird die Sprache flüssiger, die Sätze werden länger. Durchgehend kommt viel Vulgärsprache vor. Das schmutzig wirkende Cover mit Schwarz und Rot passt perfekt zum Titel, der wiederum perfekt zur Handlung passt. Die Spannung entsteht durch den Wunsch des Lesers nach mehr Information und durch die Frage: Wird Charlotte es schaffen?

Es gibt nicht viele Bücher über Jugendliche, die sich selbst verletzen. Dieses Buch bietet einen realitätsnahen Einblick. Die Autorin, die selbst mit psychischen Problemen zu tun hat, wurde zu dem Thema von einem ritzenden Mädchen im Bus inspiriert.

Ein spannendes Buch zu einem immer aktueller werdenden Thema.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von est; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 24.12.2018

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