Lise Meitner. Pionierin des Atomzeitalters

Autor*in
Rennert, DavidTraxler, Tanja
ISBN
978-3-7017-3460-3
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
224
Verlag
Residenz
Gattung
BiografieBuch (gebunden)
Ort
St. Pölten
Jahr
2018
Lesealter
16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Fachliteratur
Preis
24,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Als Lise Meitner 1922 ihre Antrittsvorlesung als eine der ersten Physikerinnen in Deutschland mit dem Titel „Bedeutung der Radioaktivität für kosmische Prozesse“ hält, wird dieser von einem Journalisten zu „kosmetischen Prozessen“ umbenannt. Meitner selbst amüsierte sich darüber viele Jahre. Aber es wird auch deutlich, wie wenig man sich damals Frauen in (natur-) wissenschaftlichen Arbeitszusammenhängen vorstellen konnte

Beurteilungstext

Die Wissenschaftsjournalisten David Rennert und Tanja Traxler haben zum 50. Todestag einer der bedeutendsten Physikerinnen im Oktober 2018 eine sorgfältig recherchierte, aus vielen bisher noch unveröffentlichten Quellen und Archivmaterialien gespeiste, und zugleich spannend zu lesende Biografie über Lise Meitner (1878 – 1968) vorgelegt.
Sie zeichnen Meitners Lebensweg als Frau in der Wissenschaft und als Forscherin und Entdeckerin einer der bahnbrechendsten Erkenntnisse der modernen Physik nach.
Ihre behütete Kindheit in ihrer liberalen jüdischen Familie in Wien, der sie nach eigenem Zeugnis immer dankbar war für die „außerordentlich stimulierende intellektuelle Atmosphäre“ (S. 23) Ihre Studienzeit in Wien und ihre produktivsten Forschungs- und Entwicklungsjahre in Berlin fallen in die Zeit einer Umbruchsphase in Physik und Chemie um die Jahrhundertwende: Conrad Röntgen entdeckt die nach ihm benannte Strahlung, Henri Bequerel stößt bei seinen Forschungen auf seltsame Strahlen aus Uransalzen, Marie Curie schließlich stößt auf zwei neue Elemente (Polonium und Radium).
Die Radioaktivität und ihre Bedeutung beschäftigen Meitner in ihren Forschungen und Experimenten. Sie arbeitet eng mit Otto Hahn zusammen, zu dem sie auch eine lebenslange Freundschaft verbindet. Als wichtiger Schritt in ihrer Karriere als Wissenschaftlerin ist ihre Assistentenstelle beim damals schon sehr bekannten Chemiker Max Planck an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität.
Während des 1. Weltkrieges begeistert sie sich zunächst, wie die meisten ihrer Kollegen für den Krieg (allen voran Fritz Haber, der sich sogar persönlich an die Ostfront begab, um einen Gasangriff vorzubereiten, vgl. S. 70), lehnte aber später konsequent jede militärische Nutzung der früheren und ihrer eigenen Forschung zur Radioaktivität und zur Entdeckung der Kernspaltung ab.
Die Jahre von 1919 bis zur erzwungenen Emigration nach Schweden 1938 charakterisieren Rennert und Traxler als ihre „goldenen Jahre“ – endlich ist sie Professorin, international anerkannte Forscherin und Wissenschaftlerin, und kann am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin-Dahlem zusammen mit Otto Hahn und Fritz Straßmann an den Experimenten zum Beschuss von Uran mit Neutronen arbeiten. Sie erhält eine Vielzahl von Auszeichnungen zu ihren Arbeiten und wird auch immer wieder (insgesamt 48 mal ) für den Nobelpreis vorgeschlagen – bekommt ihn aber nie, sondern 1946 Otto Hahn alleine.
Im durch die Nazis erzwungenen schwedischen Exil ab Ende 1938 kann sie sich nur brieflich weiter an den Forschungen des Teams beteiligen, obwohl sie laut Straßmann „die geistig führende“ bleibt. Lange hatte sie gezögert und nicht glauben wollen, dass sie in Gefahr ist, wenn sie im faschistischen Deutschland bleibt. Die Arbeitsbedingungen für ihre Forschungen waren zunächst auch alles andere als optimal, zudem litt sie unter der Isolation von Familie und Freunden.
Bei einem Winterspaziergang mit ihrem Neffen Otto Robert Frisch (ebenfalls Physiker) im Dezember 1938 diskutieren sie die Ergebnisse eines Experiments mit Uran, durchgeführt von Hahn und ihr zur Interpretation brieflich übermittelt. Er beschreibt ein unerklärliches Phänomen im Umgang mit dem Uran. Meitner und Frisch kommen zu dem Ergebnis, dass ein „Auseinanderfliegen“ des Atomkerns möglich ist und dass dabei gewaltige Mengen an Energie frei werden! Damit ist der Weg ins Atomzeitalter angebrochen.
„A physicist who never lost her humanity“ – so steht es auf Lise Meitners Grabstein in Cambridge und das zeigt diese hervorragende Biografie auf: Meitner war eine zurückhaltende, bescheidene und sehr nachdenkliche Wissenschaftlerin, die den Geheimnissen der Natur auf die Spur kommen wollte, wie es im Epilog des Buches unter der Überschrift „Wissenschaft und Verantwortung“ über sie heißt. Sie scheute sich nicht, frühere Ansichten (z.B. ihre durchaus rassistischen bzw. nationalistischen Vorstellungen vom Menschsein) zu revidieren. Sie beteiligte sich im Gegensatz zu ihrem Neffen Frisch und anderen Physikern nicht an der Entwicklung der Atombombe.
Ein umfangreicher Anhang (mit mehr als 500 Anmerkungen, sehr vielfältigen Quellen- und Literaturangaben und einem Namensregister) bürgen für die genaue und detailreiche, seriöse wissenschaftsgeschichtliche Arbeit der beiden AutorInnen.

Empfehlenswert ist diese herausragende Biografie für alle an Naturwissenschaften, Wissenschafts- und Frauengeschichte interessierten Erwachsenen und Jugendlichen. Sie sollte in allen Schul- und Unibibliotheken zum Lesen und Ausleihen bereitstehen.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von SRAn; Landesstelle: Hessen.
Veröffentlicht am 26.07.2019