Latein ist tot, es lebe Latein!

Autor*in
Stroh, Wilfried
ISBN
978-3-471-78829-5
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
416
Verlag
List
Gattung
Ort
München
Jahr
2007
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Fachliteratur
Preis
18,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

In 21 Kapiteln schildert Stroh Geschichte, Bedeutung und Rezeption der lateinischen Sprache über 3000 Jahre hinweg. Ergänzt wird der Text durch Literaturhinweise und eine Zeittafel.

Beurteilungstext

Eine der meistgestellten Fragen zwischen Gymnasiasten wie in einer recht breiten Öffentlichkeit ist die nach dem Nutzen des Erlernens von Kenntnissen der lateinischen Sprache. Dabei ist meistens nur die Beherrschung der Schriftsprache Thema der Überlegungen, an eine Unterhaltung auf Latein oder ähnliches wird erst gar nicht gedacht. Die Gegner des Lateinlernens bemängeln vor allem eine zu geringe Berufsbezogenheit, fehlende Anwendungsmöglichkeiten im Alltag oder die Ausrichtung auf eine elitär bildungsbürgerliche Schulform, die Kinder aus bildungsfernen oder sozial schwachen Schichten benachteilige und damit Klassenunterschiede eher zementiere.
Wilfried Stroh kennt solche Diskussionen zur Genüge, ist er doch als Philologe und ehemaliger Lateinprofessor sicher eine Lieblingszielscheibe solcher Argumentationen. Doch da man nur über Dinge sinnvoll diskutieren kann, von denen man auch etwas versteht, legt er mit diesem Buch sowohl einen Überblick über die gesamte geschichtliche Entwicklung der lateinischen Sprache, ihre Verbreitung und Veränderung, ihren Stellenwert und ihre Bedeutung zu unterschiedlichen Zeiten vor als auch seinen eigenen Beitrag zur heutigen Diskussion über Sinn und Zweck eines lebendigen Gebrauchs dieser angeblich toten Sprache.
Eine fast dreitausendjährige Geschichte kann dabei notwendigerweise nicht auf wenigen Seiten abgehandelt werden und die immense Sachkenntnis Strohs tritt auch manchmal fast "über die Ufer", doch erstaunlicherweise gelingt ihm durch seine stets durchschimmernde eigene Begeisterung und einen fast unakademisch flotten Schreibstil, dass das Lesen nie langweilt. Eine Vielzahl von Zitaten, immer mit eingängiger Übersetzung, und viele witzige und aussagefähige Anekdoten über die besprochenen Personen erleichtern den Zugang zu einer eigentlich schwierigen und weithin unbekannten Materie.
Dabei ist auch der geschichtlich vorgebildete Leser oft überrascht von Details gerade auch der Sprachentwicklung der Muttersprachen seit dem frühen Mittelalter, deren lateinisch-romanische Wurzeln nicht immer klar und bekannt sind. Und gerade das Auf und Ab der Wertschätzung und des Gebrauches der lateinischen Sprache in Scholastik, Renaissance, der Zeit des Humanismus bis zur wilhelminischen Zeit, die jeweiligen Kämpfe führender Befürworter und Gegner bis ins Dritte Reich und zur 68er-Revolte werden fesselnd und kenntnisreich beschrieben und kritisch bewertet, ohne dass ständig "Werbung" betrieben würde.
Gerade die objektiv wirkende Darstellungsweise, die Fähigkeit, das eigene Fachgebiet auch mit einem Augenzwinkern zu betrachten, machen einen Großteil des Reizes aus. Dabei geht Stroh durchaus ausführlich auf Details der Sprache ein, allein seine Ausführungen über Phonetik und Silbenrhythmik füllen acht Seiten und Zeittafel sowie Literaturhinweise (nicht Anmerkungen!) erstrecken sich über 55 Seiten.
So viel Material, so viel ernstgemeinter Anspruch werden wahrscheinlich manchen Leser überfordern. Wer sich aber für Sprache (und damit ist nicht nur die lateinische gemeint!) und auch Geschichte mehr interessiert, als es ein populärwissenschaftlicher Artikel im Feuilleton bieten kann, der wird mit diesem Buch reich belohnt. Große Bögen wie kleine Mosaiksteine finden sich hier zuhauf, die Aufbereitung - auch im Layout - ist nutzerfreundlich, die Beschränkung auf nur wenige Fußnoten und die Sammlung der Anmerkungen im Anhang lässt die Lektüre einfacher voranschreiten und immer wieder lockert der Mutterwitz Stroh eher trockene Kapitel auf.
Trotzdem: Das Buch wird es nicht leicht haben. Richtigen Fachleuten wird es zu "unakademisch" sein und manchen Laien zu anspruchsvoll. Wer sich aber darauf einlässt, kann hinterher fundiert mitreden, wenn es um die lateinische Sprache, um humanistische Gymnasien und den Sinn eines Lateinunterrichtes geht. Und vielleicht regt es sogar den einen oder die andere an, sich mehr als nur übersetzend mit dieser einzigen "Weltsprache" zu beschäftigen.

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Diese Rezension wurde verfasst von bh.
Veröffentlicht am 01.01.2010