L wie Liebe

Autor*in
Baltscheid, Martin
ISBN
978-3-949276-05-7
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Brandstätter, Sandra
Seitenanzahl
32
Verlag
Kindermann
Gattung
BilderbuchBuch (gebunden)
Ort
Berlin
Jahr
2022
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
didaktisches MaterialKlassenlektüre
Preis
18,00 €
Bewertung
eingeschränkt empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

L wie Liebe - eine wunderbare Sammlung über die Vielfalt der Liebe, die leider dem falschen Genre zugeteilt ist und durch die Kombination der Bilderbuchillustrationen zur Irritation bei Vorlesenden und Zuhörer:innen führt. Der eine Stern soll als Wertschätzung gegenüber dem Thema verstanden werden, denn die Sensibilisierung für eine bunte, freie und diverse Gesellschaft ist so wichtig wie essentiell für eine Gesellschaft voller Toleranz und Frieden.

Beurteilungstext

Ein ca. 10-jähriges Mädchen macht sich Gedanken über die Liebe und fragt sich "Was ist das eigentlich, die Liebe?". Ohne weitere Informationen zu ihrem Namen, welcher ausschließlich auf dem Buchcover erwähnt wird, geht es auf den bebilderten Doppelseiten im Aufzählungsstil eines Nachschlagewerkes weiter mit einer Begriffssammlung von mehr als 13 verschiedenen Formen der Liebe. In Textblöcken mit jeweiligen Titeln werden sie dann beschrieben: die Anfangsliebe, wie ein Kind seine Mama und Papa liebt und geliebt wird. Von der Idealvorstellung einer Bilderbuchfamilie philosophiert das Mädchen dann über die erste eigene große Liebe und stellt sich vor, wie sie das Modell der Idealfamilie fortführt in Form vom Verheiratet sein mit einem geeigneten Mann, mit welchem sie zwei Kinder bekommen will - ein Junge und ein Mädchen. Es folgen weiter Begriffe, die bebildert und beschrieben werden: Strandliebe, Filmliebe, Männerliebe, Lebensliebe, Liebe zu Tieren, Opaliebe nach dem Ableben, Liebe zum Eis essen, Liebe zu Männern und Frauen (Bisexualität), heimliche Liebe, Dreifachliebe in Polyamorie, Hass und Liebe und Diskriminierung von homosexueller Liebe, auch das Unverliebt- Sein und die narzisstische Eigenliebe werden thematisiert. Noch ist die Sammlung aber nicht komplett. Ohne die ewige Liebe, das Unglücklich- verliebt- Sein und Liebeskummer würde dem Bilderbuch für Grundschulkinder sicher etwas fehlen. Liebe zu Freunden und zum Skateboardfahren werden am Ende auch noch mit erwähnt, um wohl den Kreis zum ersten Bild des Buches zu schließen, in welchem sich mit genauerem Hinsehen ein Jugendschauplatz darstellen soll: Ein Mädchen auf dem Skaterplatz setzt sich, mit "Love"-Graffiti im Hintergrund, mit dem Thema Liebe auseinander. Allerdings lassen die Illustrationen eher eine 9-10-Jährige vermuten, die noch gar nicht so tief in Adoleszensthemen drinnen steckt, geschweige denn sich scheinbar völlig natürlich und alleine auf dem Skaterplatz mit den diversen Formen der Liebe beschäftigt.
Man betrachtet die Bilder im realistischen Comicstil mit Sprechblasen, die die Begriffssammlung verbildlichen sollen. Allerdings beschreiben die Bilder dann eben auch nur die unterschiedlichen Orte, an welchen die beschriebenen Formen der Liebe zu sehen sein können. Der Diversitätsgedanke setzt sich in den Illustrationen fort, auch über das Thema der Toleranz für verschiedenen Liebesformen hinaus. Die Darstellungen diesbezüglich sind sehr angenehm und sehr passend für den Zeitgeist unserer globalen Welt und wirklich äußerst positiv hervorzuheben.
Als Vorleserin ist man jedoch irritiert: Was ist die Intention der Sammlung und Verbildlichung der Formen der Liebe? Wo befindet sich die Geschichte in der Bilderbuchgeschichte? Wer ist die Protagonistin? Ist das Mädchen vielleicht eigentlich eher 13 Jahre alt? Aber warum versteckt sie sich dann in einem Bilderbuch für Grundschüler? Oder ist das Mädchen eine sehr reife Grundschülerin, die mit ihrer Bilderbuchfamilie in einer Traumzukunftsnachbarschaft wohnt, wo Diversität als Normalität gelebt wird?
Ein zuhörendes Grundschulkind ist jedenfalls schnell gelangweilt vom Buch. Es fehlt eben die wunderbare Geschichte über die Vielfalt der Liebe, die an der Lebenswelt von Kindern wie Anna ansetzt und aus dieser Sichtweise heraus ihre wirkliche Umgebung beschreibt in erzählender Form mit all ihren tiefen Facetten. Das könnte in Form von offenen Fragen viel besser dargestellt werden als in geschlossenen Antworten von Begriffsdefinitionen.
Wo das Vorlesen erfolglos ist, kann ein neuer Blick - frei von staunenden Kinderaugen und zuhörenden Kinderohren - auf das Bilderbuch geworfen werden. Mit einem neuen Genre könnte das Buch als Sachbuch für Kinder im Übergang zu Jugendlichen ab ca.10 Jahren oder auch für pädagogisch Tätige als anschauliches Exemplar verstanden, gelesen und genutzt werden. Allerdings scheinen dann die lebhaften, geschichtenerzählenden, comichaften Illustrationen etwas als Fehl am Platz und sind nicht mehr geeignet für die Zielgruppe Jugend, worauf irgendwie ja auch der Skaterplatz und Anna mit dem Skateboard hinweisen soll.
Das Cover ist zudem wirklich trügerisch, denn es gibt eine falsche Idee über den Inhalt des Buches. Ein kleiner Mensch im Gras schaut Schmetterlingen wie forschend hinterher. Der Text auf der Rückseite, welcher Interessierte zum Kaufen anregen soll, ist absolut unpassend zum eigentlichen Inhalt. Man könnte meinen, dass die Verfasserin oder der Verfasser das Buch nicht einmal gelesen hat. Weder ist "L wie Liebe" ein "starkes Bilderbuch über Toleranz und Diversität", noch eine "wunderbare Geschichte über die Vielfalt der Liebe" und auf gar keinen Fall handelt es sich um eine "frech, pointierte Erzählung über die unzähligen Facetten des schönsten Gefühls der Welt". Toleranz ist eine Grundhaltung, ein Wert, welcher durch Erziehung, Reflexion und Empathie entsteht. Liebe ist eine tiefe Emotion und es gibt diese ganzen Formen der Liebe, wie sie dargestellt sind. Aber emotional nimmt man weder Vorlesenden, noch Zuhörende mit. Es gibt keine Hinweise zu Gefühlsentwicklungen, inneren Fragen oder Reflexionen der Gedanken von der Protagonistin und ihrer Umwelt. Das Buch beschreibt einfach nur unterschiedliche Formen von Liebe.
Nicht alles ist jedoch zu kritisieren. Das Thema als solches ist im Zeitgeist von 2022 und ist bedeutsam. Die starken Farben und Bilder der Illustratorin machen dies deutlich und verstärken die Denk- und Fühlweise unseres Zeitalters (wenn man von Großstadtmenschen im Globalen Norden ausgeht). Das Buch ist jedoch ungeeignet zum Vorlesen für Kinder. Kinder kommen ohne Vorurteile und mit einem toleranten Herz auf die Welt. Sie lernen erst durch die Erwachsenen, die Vorlesenden, die Arten von Liebe und deren Bewertung kennen. Kinder zwischen 0-10 Jahren fühlen aber nur die Anfangsliebe und kennen die Familienliebe. Denn enge Bezugspersonen sind in den ersten Jahren die wertvollsten Vorbilder in der Entwicklung von Toleranz für Diversität. Im 10.-12. Lebensjahr befinden sich die Kinder entwicklungspsychologisch in einer Übergangsphase und in der langsamen Ablösung vom eigenen Elternhaus. Ab circa 13 Jahren gewinnen dann ihre Peers mehr Bedeutung im Wettkampf um die Vorbildrolle von Meinungen, Werten und Lebensformen. Das heißt Text und Bilder, Genre und Format passen irgendwie nicht zusammen. Es ist leider keine runde Sache. Die Themen im Buch sind zu vielfältig und überwuchert. Jede einzelne Form der Liebe könnte eine Geschichte bilden, mit Gedanken, Reflexionen und nahe an der Lebenswelt von den Kindern und ihren vorlesenden Bezugspersonen. Das Buch "L wie Liebe" hilft leider auch nicht zur Sensibilisierung des Themas. Die Menschen, die sich noch nicht viel mit Vielfalt in der Liebe auseinandergesetzt haben, würden das Buch einfach nur schockiert weglegen. Es ist zu weit weg von ihren traditionellen Werten über Liebe und Partnerschaft. Im schlimmsten Fall könnte so eine negative, diskriminierende Abwertung des Themas erfolgen und Meinungen sogar polarisiert werden. Das Bilderbuch kann ebenso wenig die emotionale Erfahrungswelt von Kindern, die in einer bunten LGBTQIA+ Community aufwachsen, begleiten. Denn diese werden häufig mit jeglichen Formen der Liebe, aber auch Diskriminierung konfrontiert, finden in der bunten toleranten Welt des Buches allerdings keine brauchbaren Handlungsoptionen oder andere identitätsunterstützenden Textinhalte, die nahe an der Realitätswelt dieser Kinder ansetzen könnten. Das Bilderbuch ist eine Beschreibung von Begriffen, die bestenfalls für 10-12-jährige als Hausaufgaben-Recherche über die Formen der Liebe verwendet werden kann.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Lisa Barouk; Landesstelle: Thüringen.
Veröffentlicht am 15.12.2022