Jeanne Antoinette de Pompadour

Autor*in
Weisbrod, Andrea
ISBN
978-3-934029-85-9
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Offermann, Andrea
Seitenanzahl
24
Verlag
Kindermann
Gattung
BilderbuchBuch (gebunden)
Ort
Berlin
Jahr
2021
Lesealter
6-7 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Vorlesen
Preis
18,00 €
Bewertung
eingeschränkt empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Das Mädchen Jeanne Antoinette erzwingt sich eine Begegnung mit dem König und begeistert ihn durch ihre Frische und Keckheit, so dass er sie zu seiner Freundin macht. Damit erfüllt sie sich ihren Traum von wunderschönen Kleidern und einer Kutsche.
Märchenhafte Geschichte von der Kindheit der Madame de Pompadour, in der Fiktion und Fakten vermischt werden.




Beurteilungstext

Inhalt
Wenn man Grundschulkindern einen ersten Eindruck von der französischen Geschichte vermitteln will oder Grundschulkindern eine berühmte Frau vorstellen will, eignet sich dafür die Person der Madame de Pompadour, deren Geburtstag sich 2021 zum 300. Mal jährt? Ich meine Nein. Denn so steht die Welt der Prachtschlösser und zahlreichen Hofleute und Dienerschaft stellvertretend für die französische Geschichte. Kann man einem 6-10jährigen Mädchen als Vorbild für gleichberechtigtes Handeln in der Geschlechterbeziehung eine zwanzigjährige Ehefrau und Mutter zweier Kinder präsentieren, die von Verwandten an den um elf Jahre älteren König herangeführt wurde? Dann müsste man vorher dem Grundschulkind das gesellschaftlich hochkomplizierte Phänomen der Maitresse mit seiner sozialen und erotischen Dimension innerhalb der Hofgesellschaft erklären. Die Autorin – promovierte Historikerin - hat in einem Biographieband über die Pompadour für erwachsene Leser*innen 206 Seiten gebraucht, um aufzuzeigen, wie eine Mätresse ihre Stellung nur länger halten konnte durch durchdachte Selbstinszenierung und diplomatisches Lavieren im politischen Machtgefüge der höfischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts ankam.

Deshalb hat sich die Autorin dafür entschieden, hier keine Biographie der konkreten historischen Figur Madame Pompadour zu schreiben, auch wenn der Titel des Buches dies nahelegt.
Tatsächlich benutzte sie einige wenige Lebensfakten der berühmten Maitresse und brach sie auf eine kindliche Protagonistin herunter, die den Anforderungen der feministischen Emanzipation der Jetztzeit entsprechen sollte. So mischt sie Fakt und Fiktion, was selbst die Schreiber*innen der Rezensionen nicht auseinander halten können.
Die unhistorische fiktive Bilderbuch-Jeanne klettert auf Apfelbäume, hält auf dem Bock die Zügel einer Pony-Kutsche, mit der sie dem jagenden König mehrmals vor das Pferd kurvt, spricht ihn kess an und bläst ihm eine Pusteblume ins Gesicht, was alles Mädchen im 18. Jh. unmöglich war. Jeannes Ziel ist der Besitz von schönen Kleidern und einer großen Kutsche, auch wenn dies nur über den Umweg der Gunst des Königs möglich ist. Sie ist nicht zu bremsen, durchbricht jegliches Hofzeremoniell, ergreift die Initiative und sagt zu ihm: „Ich möchte deine Freundin sein.“ Sie ist ein freches Mädchen, das sich nicht einschüchtern lässt. In ihrer kindlichen Art zu denken, sprechen und handeln könnte sie ein heutiges sehr eigenwilliges Persönchen im Grundschulalter sein. Sie hat kindliche Vorlieben, phantasiert Geschichten zu treibenden Wolken, isst gern Kekse und trinkt gern Schokolade, verkleidet sich mit Utensilien aus Mutters Kleiderschrank, spielt mit ihrem Hund und wird abends von der Mutter zugedeckt. So kann sie für den König nur eine lustige, unterhaltsame Freundin sein, die Erotik wird ausgespart, ihre Beziehung infantilisiert.

Form
Text
Für erwachsene Leser*innen sind dieses Umfunktionieren der Historie, dieses Spiel mit Anachronismen, die Vermischung sowohl der Zeitebenen als auch der Genres, die intermedialen Bezüge und die Persiflage auf die buckelnde Hofgesellschaft ein vergnüglicher Spaß.
Grundschulkindern entgehen jedoch diese Feinheiten des Subtextes. Gut, dann ist es für sie eben lediglich eine märchenhafte humorvolle Geschichte, in der der König lächerlich gemacht und als Trottel dargestellt wird. Die Textgestaltung ist dieser Zielgruppe angepasst. Humor entsteht aus dem Missverständnis bildhafter Rede oder kindlichen Übertreibungen. Es gibt Wiederholungen einzelner Textbausteine, die sich steigern und dann mit einem Gag umgekehrt werden. Es gibt umgangssprachliche Wendungen, die sich bewusst mit den Märchenmotiven stoßen. Wie im Cinderella-Film bekommt das Mädchen von der Mutter wunderschöne Kleider und eine Kutsche, um den Prinzen zu bezaubern, und der sagt: „Komm mit zu meinem Schloss.“
Illustrationen
Der Text wurde auf schwungvolle Doppelseitenillustrationen gesetzt, die in eine märchenhafte Traumwelt mit prachtvollen Schlossinnenräumen und Treppen mit viel Dienerschaft entführen. Das Mädchen Jeanne scheint durch sie zu fliegen. Die zauberische Atmosphäre wird verstärkt durch rote Goldfische mit Luftbläschen, die mit ihr zu schwimmen scheinen.

Botschaft
Diesen Mädchentraum von Prinz und Schloss phantasiert Jeanne, als sie die Wolkenbilder betrachtet und entwickelt daraus ihren Aktionsplan. Warum sollen heutige Leserinnen diesem Märchen nicht auch nachträumen? Weil Mädchen mit Jeannes Tatkraft, Ideenreichtum und Durchsetzungsvermögen sich heutzutage ihre Wünsche durch Bildung und Beruf selbst erfüllen können und nicht darauf angewiesen sein sollen, sich einen reichen Mann zu angeln. Weil ihre Wünsche sich nicht auf tolle Klamotten und eine Kutsche - sprich Auto – beschränken sollen Leider unterstützt dieses Buch solche äußerlichen Ziele, indem der Beschreibung von Jeannes rosa Kleid mit Glitzer ohne ironische Verfremdung viel Raum gegeben wird. „Oh, wie wunderschön!“, seufzt ihre Mutter. Und Jeannes Erscheinen auf der Schlosstreppe gleicht dem Gala-Auftritt einer TV-Show. So sehen sich auch die Mädchen, die heute im Kaufhaus auf Herzchen, silberne Schuhe und duftige rosa Kleider fliegen und zum Geburtstag im glitzernden Prinzessinnenkleid auftreten wollen. Im Buch äußert Jeanne ihre Konsumwünsche der Mutter gegenüber im Befehlston: „Ich brauche ein blaues und ein rosa Kleid, und ich brauche eine blaue und eine rosa Kutsche mit einem Pony.“
Zum Schluss noch eine Bemerkung dazu, wie dieses Buch unsere Werte-Erziehung unterstützen oder konterkarieren kann: Muss dieses französische Mädchen unbedingt blonde Haare und große blaue Augen haben?

Einsatz, Vermittlung
Ich hätte mir gewünscht, dass die Autorin es bei einer rein märchenhaften Geschichte ohne direkten Bezug zu einer konkreten historischen Person belassen hätte. Hier werden jedoch bei Grundschulkindern ohne historisches Vorwissen Vorstellungen entwickelt, die später korrigiert werden müssen. Das Nachwort macht den Versuch, Zusatzinformationen zu liefern. Aber zu einer notwendigen Korrektur hätte gehört, dass die historische Jeanne eine Erziehung im Kloster genossen hatte, die ihr die Fähigkeit gab, als Mätresse in Kultur und Politik mit Klugheit zu agieren. Auch das gesellschaftliche Phänomen der Mätresse bedarf einer Erklärung, die hier unterlassen wird. Dabei hat die Autorin das Wissen dazu präsent, weil sie über die Rolle der Mätresse im 18. Jh. promoviert hat.

Als Aktivierungsvorschlag findet sich am Schluss des Buches das Rezept für die mit Gold bestreuten Kekse in Lilienform, die für den König gebacken werden. Sollen unsere Kinder heute mit goldener Lebensmittelfarbe oder goldenen Zuckerstreuseln arbeiten? Das reiht sich in den Trend zu Glitzerdingen in der aktuellen Trash-Kinderkultur ein. Der Geschichte angemessener wäre der Vorschlag gewesen, sich aus der Plünnkiste zu verkleiden.

So kann ich den Einsatz nur mit großer Zurückhaltung empfehlen.

Autorin
Andrea Weisbrod studierte Geschichte und Kunstgeschichte. Nach ihrem Studium zog sie nach Paris und arbeitet seitdem dort als Journalistin und Katalogautorin. Sie schrieb auch zwei Kriminalromane und neben dem vorliegenden zwei andere Bilderbücher über königliche historische Personen.

Illustratorin
Andrea Offermann kehrte nach ihrem Studium am Art Center College in Los Angeles nach Deutschland zurück und lebt heute in Hamburg. Seit 2008 hat sie fremde Texte von Bilderbüchern, Kinder-und Jugendbüchern illustriert.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Geralde Schmidt-Dumont; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 12.01.2023