Insekten

Autor*in
Hofer, ReginaMaurer, Leopold
ISBN
978-3-903081-34-5
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Hofer, ReginaMaurer, Leopold
Seitenanzahl
237
Verlag
Luftschacht Verlag
Gattung
ComicTaschenbuch
Ort
Wien
Jahr
2019
Lesealter
14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Fachliteratur
Preis
23,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

„Ich werde immer ein Nazi bleiben. Aber wir sterben ja bald aus … wir Nazis.“
Leopold Maurer und Regina Hofer führen ausführliche Gespräche mit Maurers Großvater, der zunächst zögerlich, dann aber immer offener und erschreckend ehrlich von seiner Begeisterung für den Krieg und seinen Einsätzen in der Waffen-SS, zu der er sich freiwillig meldete, erzählt. Ein erschütterndes, verstörendes Dokument der Reuelosigkeit, erzählt in Schwarz-Weiß-Bildern.

Beurteilungstext

Maurer und Hofer montieren Gesprächsszenen mit dem Großvater im Jetzt, seine Erinnerungssplitter an den Krieg und die Verbrechen der SS und Rückblicke des Enkelsohnes als Kind auf Unternehmungen mit dem Opa in Text-Bild-Collagen. So verstörend die hingeworfenen Legitimationsfetzen des Großvaters und so assoziativ die Erzählebene der Texte ist, so durchgängig und gleichmäßig sind die mit hartem Strich und viel Schwarz gemalten Panels angeordnet: Immer vier mal vier auf einer Seite strukturieren sie und führen sie durch die manchmal kaum erträglichen Bildgegenstände.
Immer wieder gibt es Gegenüberstellungen des mörderischen Kriegshandwerks und der Verbrechen („jeder war begeistert, bis wir anfingen zu verlieren“) mit der Interviewsituation und den Kindheitserinnerungen des recherchierenden Enkelsohnes. Hier ist der Großvater, der mal achselzuckend, mal höhnisch, mal grinsend, mal stolz („War dabei, habe mich nicht fangen lassen.“) und immer mal wieder vergesslich („Wo waren wir? Haben wir den Krieg gewonnen?... Ah, verloren haben wir ihn.“) sein verbrecherisches Beteiligtsein kommentiert, mit den Erinnerungen des Enkels an Fernsehgucken, Plattenhören, auf die Jagd gehen mit Opa und heimliches Luftgewehrschießen auf Vögel und Gespräche, die die „zumutbare Wahrheit“ verschleiern halfen: Er war ja nur Fahrer gewesen und der Junge stellte sich ihn als „eine Art Schwejk“ vor. Die Wahrheit aber ist: „Mein Großvater war an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt… und an der Ermordung von Zivilisten.“ (S. 236)
Die Bilder und Texte konfrontieren in schonungsloser Weise mit den Verbrechen – den Massakern der SS in Frankreich, Oradour, in Polen Baby Jar, den Einsatz der Gaswagen, in denen nach der Tötung „ein Knäuel verkrampfter Menschen“ lag. (Aussage eines SS-Angehörigen nach dem Krieg – zitiert S. 133ff) Oder die Jagd auf Partisanen. Der Großvater höhnisch: „Die Partisanen haben sich nicht fangen lassen brauchen, die haben wir alle erschossen.“ (S. 175)
Maurer und Hofer erzählen aber nicht nur die Geschichte des Großvaters, sondern auch in drastischen Bildern von den Bosheiten einer Kindheit: Wie z.B. ein Junge mit Namen Hansi immer wieder extrem gemein gehänselt oder in Neusprech „gemobbt“ wird oder wie die Jungs kleine Tiere quälen.
Intertextuelle Anspielungen, historische Dokumente, Zitate von Hitler, Eichmann und anderen Tätern, aber auch Aussagen von Überlebenden vervollständigen dieses künstlerische Dokument über einen SS-Verbrecher, der (2018 vom Enkel gesucht auf Abbildungen in der Topographie des Terrors in Berlin) nicht zu finden ist: „Jeder und keiner sieht so aus wie er.“
„Insekten“ ist ein Buch, das in mancherlei Hinsicht Fragen offenlässt (z.B. nach dem Titel) und mit seiner oft rätselhaft bleibenden Bildgestaltung irritiert. Zugleich ist es ein wichtiger Beitrag zur Erinnerungskultur, den ich LeserInnen ab 14 sehr ans Herz legen möchte.

Angelika Schmitt-Rößer

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Diese Rezension wurde verfasst von SRAn; Landesstelle: Hessen.
Veröffentlicht am 27.12.2019