Im Schatten des Fuchsmondes

Autor*in
Babendererde, Antje
ISBN
978-3-401-60541-8
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
400
Verlag
Arena
Gattung
Buch (gebunden)
Ort
Würzburg
Jahr
2022
Lesealter
16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüre
Preis
17,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Badfearna, der Besitz ihres Vaters, bedeutet der siebzehnjährigen Lia alles. Sie möchte Wildtiermanagement studieren und später das Gut in den Highlands bewirtschaften. Doch in diesem Sommer ist alles anders: Die Eltern haben sich auseinandergelebt und streiten nur noch; mit der jüngeren Schwester ist nicht viel anzufangen; vor allem aber sorgt der geheimnisvolle Finn dafür, dass Lia ihre Gefühle und ihre Gewissheiten permanent neu prüfen muss.

Beurteilungstext

Loch Maree, im äußersten Nordwesten Schottlands, ist Lias Lieblingsort. Ihrem Vater gehört „Badfearna“; das riesige Areal befindet sich seit gut vier Jahrhunderten in Familienbesitz. Lia kennt hier jeden Winkel, jeden Pfad und jede Insel auf dem See; sie hat sich intensiv mit den Lebensgewohnheiten der Wildtiere beschäftigt und sie weiß genau, dass sie ihr künftiges Leben hier verbringen möchte – sie wird das Gut bewirtschaften und versuchen, den Spagat zwischen kommerzieller, vor allem touristischer, Nutzung und Tierschutz hinzubekommen. Ihre kleine Schwester Kelsi kann mit dem Leben in den Highlands dagegen gar nichts anfangen. Sie verbringt ihre Zeit beinahe ausschließlich in sozialen Netzwerken, träumt von einer Modelkarriere und vermisst die Mutter schrecklich, die in Amerika weilt, um die Großeltern nach einem Unglück zu unterstützen. Der Vater der beiden Mädchen investiert viel Geld und Mühe in den Familienbesitz; die schöne Lodge hat er aufwändig restaurieren lassen, um zahlungskräftige Jagdgäste anzulocken. Finanziell steht ihm das Wasser bis zum Hals – die Ausgaben auf Badfearna stehen in keinem Verhältnis zu den Einnahmen und sein Bauunternehmen in Edinburgh läuft schlecht. Vor allem aber gibt es immer wieder Streit mit seiner Frau – im Laufe des Sommers werden sich die beiden trennen. Lia genießt die ersten Tage in der „Wildnis“; sie geht dem Wildhüter zur Hand, wandert und schwimmt, lässt sich vom Anblick Macbeths verzaubern – des weißen Hirsches, der genauso alt ist wie sie. Ihr Vater trifft hinsichtlich des Landbesitzes Entscheidungen, die Lia schlecht akzeptieren kann – so erlaubt er einem schwerreichen russischen Jagdgast, Macbeth zu schießen, was das Mädchen unglaublich verletzt. Als plötzlich ein etwa achtzehnjähriger Junge auftaucht, geraten alle Gewissheiten ins Wanken. Ist dieser Finn wirklich ein Großneffe der verstorbenen Frau von Duncan, dem Wildhüter? Warum arbeitet er so verbissen auf dem Gut, ohne etwas von sich preiszugeben? Was wollte er allein auf dem Gipfel des Slioch, der Bergspitze über dem Anwesen? Wie kann es sein, dass er sich mit einem kleinen Fuchs anfreundet und dieser ihm auf Schritt und Tritt folgt? Zur entscheidenden Frage aber wird für das Mädchen mehr und mehr: Empfindet Finn für sie dasselbe wie sie für ihn; ist er verliebt in sie, will er eine Beziehung eingehen? Lia spürt eine starke Zuneigung und ein stets wachsendes Verlangen, obwohl sie eigentlich eine Art Ferien-Beziehung zu Struan, dem Sohn des Verwalters, hat und ihn mag. Schnell wird klar, dass Finn ein Geheimnis mit sich trägt. Er erzählt nichts über seine Vergangenheit oder seine Familie und verbirgt sich offenbar vor Fremden. Während sich Finn und Lia dennoch behutsam näherkommen und ihre Verliebtheit akzeptieren, erfährt das Mädchen nur wenige Details über ihn. Schließlich stellt sich heraus, dass er ein sehr talentierter Fußballer ist bzw. war, dass er sogar schon einen Profivertrag bei einem großen Club in Glasgow hatte. Er vertraut Lia nach langem Zögern an, dass er sich vor der Polizei verbirgt – bei einer Auseinandersetzung hat er unabsichtlich seinen Trainer schwer verletzt. Seltsam ist, dass Bell, der Jugendtrainer, nach seinem Erwachen aus dem Koma nicht preisgibt, was geschehen ist. Nach einiger Zeit „platzt die Bombe“ – der Trainer hat über Jahre hinweg systematisch Jugendspieler sexuell missbraucht; Finn hat ihn niedergeschlagen, weil er ihn stoppen wollte und seine eigenen Verletzungen nicht mehr ertragen konnte. Lia und Finn bekennen sich trotz heftiger Widerstände zueinander und beide finden den Mut und die Kraft, sich ihren Verletzungen und Sorgen zu stellen.
Man merkt dem Roman an, dass die Autorin von der rauen Schönheit der schottischen Landschaft fasziniert ist. Ihre Schilderungen der Highlands fesseln und sind von großer Eindrücklichkeit und Plastizität. Die geschichtlichen Hintergründe zum wechselhaften Schicksal Schottlands sind ebenso sauber recherchiert und anschaulich dargestellt wie die Details, die sich mit der Gegenwart des britischen Landesteils beschäftigen. Hier setzt sich Babendererde intensiv mit Geschlechterrollen und Männlichkeitsstereotypen auseinander, aber auch mit sozialer Ungleichheit. Weniger überzeugend gelingen ihr die Darstellungen der Gefühle und Reflexionen der Hauptpersonen; vor allem wenn es über Liebe geht. Die sprachlichen Bilder, die die Autorin hier wählt, sind oft klischeehaft und kitschig: „Lia legt es nicht darauf an zu zeigen, wie hübsch sie ist, wie begehrenswert … Finn fallen eine Menge Gründe ein, warum er nicht darüber nachdenken sollte, etwas mit Lia anzufangen, aber sie macht es ihm nicht leicht, mit ihrem blauen Blick und ihrer entwaffnenden Offenheit.“ (S. 122, 125) Babendererde nimmt sich Zeit, die Charaktere ihrer Protagonisten herauszuarbeiten und die Handlung zu entwickeln. Dadurch gelingen glaubwürdige und vielschichtige Darstellungen. Auch Nebenfiguren wie Lias Schwester Kelsi oder der alte Wildhüter Duncan erhalten viel Profil. Die sehr behutsame und langsame Aufdeckung von Finns Geheimnis erzeugt Spannung und ist mit großem Einfühlungsvermögen gestaltet. Häufig wechseln Kapitel auf Lias Perspektive mit solchen aus der des Jungen ab. Nicht ganz plausibel ist, warum Lia in der Ich-Perspektive erzählt; Finns Erleben aber aus einer auktorialen Perspektive dargestellt wird. Die Komplexität der Gefühle, die sich zwischen den Hauptpersonen entfalten, wird ebenso überzeugend herausgearbeitet wie andere Nebenstränge der Handlung, so z.B. die ökologischen Erwägungen, die Lia umtreiben. Antje Babendererde hat ein lesenswertes und über weite Strecken fesselndes Buch verfasst. Im Nachwort verweist die Autorin auf Anlaufstellen für Opfer sexuellen Missbrauchs.

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Diese Rezension wurde verfasst von RPKJ; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 15.01.2024