Heute gehe ich nicht nach Hause

Autor*in
Sbuelz, Antonella
ISBN
978-3-03880-066-8
Übersetzer*in
Heissenberger, Michaela
Ori. Sprache
Italienisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
288
Verlag
Arctis
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Hamburg
Jahr
2023
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüreKlassenlektüre
Preis
18,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Die italienische Autorin und Lehrerin Antonella Sbuelz hat mit "Heute gehe ich nicht nach Hause" 2021 ihren Jugenddebütroman vorgelegt (2023 auf Deutsch) und dafür sogleich den neugegründeten Literaturpreis Premio Campiello Junior erhalten und diese besondere Auszeichnung wird jeder Leser und jede Leserin gerne bestätigen. Die Autorin hat hier nämlich inhaltlich krass unterschiedliche Lebenssituationen je eines afghanischen und eines italienischen Jugendlichen kontrastiv nebeneinandergestellt und schließlich zusammengeführt und dies formal und stilistisch so gekonnt, dass man die vielfältigen und komplexen, unterschiedlichen und sich überschneidenden Themenbereiche mit Spannung, Überraschung und Erkenntnisgewinn von der ersten bis zur letzten Seite lesen kann!

Beurteilungstext

Der Jugendroman von 2021, 2023 in Deutsch erschienen, zeigt deutlich, dass die Autorin, Lehrerin und Mutter Antonella Sbuelz engen Kontakt zur Lebenswelt zeitgenössischer Jugendlicher hat und zudem über ausgezeichnete literarische Fähigkeiten verfügt, indem sie die aktuellen, disparaten Wirklichkeiten zweier Jungendlicher lebensnah darstellt.

Da ist zum einen der 15-jährige Mattia, Einzelkind einer italienischen Mittelschichtfamilie. Beide Elternteile sind Akademiker, er besucht das städtische Gymnasium, hat dort einen guten Freund, ist grenzenlos verliebt in eine Mitschülerin, aber extrem schüchtern, ist somit eingebettet in einer sicheren sozialen Situation. Dann erfährt er völlig überraschend, dass sich seine Eltern werden scheiden lassen, weil der Vater eine Freundin hat, die ein Kind von ihm erwartet. Der Schock dieser Nachricht erschüttert seine bis dahin sichere Situation und er entschließt sich spontan, aus Wut den Eltern gegenüber, nach der Schule nicht mehr nach Hause zurückzukehren.

Ganz anders und doch auch vergleichbar erweist sich die Existenz der fast 14-jährigen Aziza in Afghanistan. Auch sie lebt mit Akademiker-Eltern in Kabul und das zunächst in gesicherten materiellen und sozialen Verhältnissen. Doch bei einem Besuch der Familie einer Tante in einem Dorf ändert sich alles radikal. Bei der nächtlichen Suche nach Terroristen durch amerikanische Navy Seals, in Form einer gleichermaßen realistischen wie makabren Schilderung, wird die Mutter `versehentlich` erschossen. Damit bricht für Aziza die Welt zusammen. Der Name ihrer getöteten Mutter lautet für sie jetzt "Kollateralschaden", und einhergehend mit dem Wiedererstarken der Taliban muss sie erkennen, dass es hier für sie ein Leben gibt, in das "kann man nicht zurückkehren" (S. 83). Deshalb flieht sie mit ihrem Vater und ihrem Onkel , notwendigerweise getarnt als Junge Aziz, über die Balkanroute nach Europa.

Durch die besondere Struktur des Romans gelingt es der versierten Autorin, die Spannung der vielfältigen Handlungsstränge permanent aufrecht zu erhalten. Sie schildert nämlich das vielschichtige Geschehen kontrastiv abwechselnd aus der Perspektive von Aziz(a) und von Mattia, wobei sich durch die kurzen Kapitel in ihrer ständigen Alternierung die Spannungsbögen dauerhaft verschränken. Verstärkt wird diese fast suggestive Wirkung noch durch die lebensnah-authentische Schilderung jugendlicher Lebensweisen in den Bereichen Schule und Freizeit (Musik, Comic, Film, jugendliterarische Klassiker betreffend).
Im letzten Viertel des Romans werden dann beide Protagonisten auf ihrer Flucht in einer oberitalienischen Stadt zusammengeführt und alle bis zu diesem Zeitpunkt unterschiedlichen Probleme zu einer glaubwürdigen gemeinsamen Lösung geleitet.

Dabei bekommt etwa Mattia statt seines bisherigen Vorurteils gegenüber Illegalen Verständnis für deren desolate Situation. Grundsätzlich werden innerhalb des gesamten Romangeschehens so existentielle Themen wie Identität, Verlust, Bedeutung von (Groß-)Familie und Zuhause, von Flucht und Hoffnung, von Angst und Mut wie auch von poetischer Wörterliebe je nach spezifischer Lebensweise und ebenso in ihrer Allgemeinverbindlichkeit beeindruckend in Szene gesetzt.

Dieser besondere Coming-of-Age-Roman hat also nicht nur dank der italienischen Jugendjury den neu gegründeten Literaturpreis "Premio Campiello Junior" zu Recht erhalten, sondern kann ebenso mit Gewinn und Genuss von Erwachsenen jederlei Geschlechts gelesen werden!

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Diese Rezension wurde verfasst von KS; Landesstelle: Niedersachsen.
Veröffentlicht am 28.08.2023