Herr Pomeranz lernt lachen

Autor*in
Linschinger, Maria
ISBN
978-3-99028-752-1
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Farhang, Solmaz
Seitenanzahl
40
Verlag
Bibliothek der Provinz
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Weitra
Jahr
2018
Lesealter
4-5 Jahre6-7 Jahre8-9 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
20,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Lachen muss man doch nicht lernen, werden manche Kinder denken, wenn sie den Titel dieser Erzählung hören. Aber Herr Pomeranz muss es lernen. Sein Leben ist so gleichförmig, sein Wesen so unauffällig mittelmäßig - da hat das Unerwartete, das Ulkige, das uns zum Lachen bringt, keinen Platz.

Beurteilungstext

Den Protagonisten dieser märchenhaften Geschichte, Ernst Pomeranz, zeichnet aus, dass ihn nichts auszeichnet. Weder ist er groß, noch klein, weder dünn, noch dick. Er "hatte keine besonderen Eigenschaften, nicht einmal eine Glatze. Wer ihn sah, vergaß ihn gleich wieder." Sein Chef war zufrieden über die Korrektheit und Gewissenhaftigkeit seines Angestellten, der täglich in der Vormittagspause einen Vormittagsapfel und in der Kaffepause eine Nachmittagsbirne aß. Bedrückend? Als Leser*in erfährt man nicht, ob es ihn selbst bedrückt, aber bereits auf der ersten Seite zeigt sich ebenfalls, dass Herr Pomeranz nie lacht.
Die Geschichte beginnt an einem Morgen, der sich der Gewohnheit entzieht, denn als Herr Pomeranz aus seinem Haus tritt, sieht er ein kleines Mädchen auf seinem Dach sitzen. Sie wackelt mit den Beinen, an den Füßen trägt sie rote, übergroße Stöckelschuhe. Was nun? Herr Pomeranz hatte mit Kindern "nichts zu tun gehabt, seit er selber keines mehr war. Und er erinnerte sich auch nicht mehr daran, wie es damals gewesen war, als er noch nicht mittelgroß und mittelalt war [...]." An diesem Morgen fährt Herr Pomeranz nicht mit dem Bus zur Arbeit. Stattdessen sitzt er mit dem fremden Mädchen auf den Stufen vor seinem Haus. Sie isst seinen Vormittagsapfel, er seine Nachmittagsbirne. Doch das Mädchen spricht nicht. Sie lächelt, sie summt Melodien. Was sollte er also tun? Herausfinden, wo sie herkam und sie zurückbringen. Nicht einfach, wenn sie nicht sprach. Also erzählt er: von sich, von seiner Vergangenheit. Er ruft seinen Chef an und nimmt Urlaub. Er isst mit dem Mädchen, sie gehen spazieren. So zweckfrei, aber Herr Pomeranz fühlt sich wohl.
Aber richtig war es doch nicht, sie als seine Tochter bei sich leben zu lassen? Also doch zur Polizei!? Kurz bevor sie dort ankommen, verschwindet das Mädchen beim Überqueren eines Zebrastreifens auf einmal. Herr Pomeranz ist verwirrt. Was tun? Da heben sich seine Mundwinkel: er würde ein Gartenfest ausrichten - bestimmt würde das Mädchen dann wieder auftauchen! Er lädt den Eismann, die Gemüsefrau, die Nachbarn und viele andere ein, aber ein Stuhl bleibt reserviert für das zauberhafte Kind. Und spät am Abend - es ist dunkel, die Gäste schläfrig - entdeckt Ernst Pomeranz im Baum ein helles Kleid und rote Schuhe. Das Mädchen steht noch im Baum, als er nach diesem glücklichen Tag zu Bett geht.

Maria Linschinger erzählt ein Märchen, das seine Leser*in mit vielen offenen Fragen zurücklässt, z.B. danach, woher das Mädchen kommt, ob sie bleibt, wie das Ende gedeutet werden kann. Gerade damit ist es auch eine Geschichte, die nachhallt und noch lange beschäftigt. Dabei werden auf bekannte Motive zurückgegriffen, allen voran das des fremden Kindes, das in das monotone Leben einer Figur Überraschung bringt. So kann man sich bei dem Protagonisten durchaus an den braven und angepassten Herrn Taschenbier (Eine Woche voller Samstage von Paul Maar) erinnert fühlen. Und wie da, ist es auch eine Geschichte über Vernunft und Unvernunft, Zweckmäßigkeit und Müßiggang. Ebenfalls die übergroßen roten Schuhe lassen an Figuren wie Pippi Langstrumpf oder Dorothy (Der Zauberer von Oz) denken.
Die Bilder Solmaz Farhangs entfalten eine eigene Kraft: sie zeigen Gegenstände und Personen stets nur ausschnitthaft. Gesichter werden nie vollständig gezeigt, von Herrn Pomeranz und dem Mädchen nur die Münder, keine Augen. Dabei erhalten sie durch die leuchtenden und die Objekte verfremdenden Farben eine Farbigkeit, die an Pop-Art denken lässt. Für diese Bilder erhielt Farhang 2018 den Joseph Binder Award. Der Text und die Bilder lassen gemeinsam einen Raum entstehen, der die Spannweite zwischen Schlichtheit und Übertreibung, zwischen Angepasstheit und Überschwang aufspannt.
Eine poetische Geschichte über Lebensfreude, nicht nur für Kinder.

[Susanne Drogi]

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Diese Rezension wurde verfasst von sd; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 09.06.2019