Herr Anton verpasst den Bus

Autor*in
Stead, Philip Christian
ISBN
978-3-8369-6225-4
Übersetzer*in
Gutzschhahn, Uwe-Michael
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Stead, Erin E.
Seitenanzahl
48
Verlag
Gerstenberg
Gattung
Bilderbuch
Ort
Hildesheim
Jahr
2023
Lesealter
4-5 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüreVorlesen
Preis
18,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Zoowärter Anton verpasst den Bus und kommt deshalb zu spät zum Dienst. Um seine Versäumnisse aufzuholen, helfen seine Freunde, die Tiere, ihm bei seiner Arbeit. So haben sie noch Zeit, gemeinsam an den Strand zu fahren.

Beurteilungstext

FORM
Text
Es gibt nur sparsamen, wenig geformten Text, einige Doppelseiten sind sogar textlos. Die Fortschritte der Handlung sind zeitlupenartig gedehnt, was besonders deutlich beim Spaziergang der langsamen Schildkröte wird, der sich filmisch über fünf Doppelseiten hinzieht, von denen die letzte sogar noch ausgeklappt wird. Das kann man schon als Überlänge empfinden.
Illustration
Die Colorierung beschränkt sich auf zarte Grün- und Rosatöne. Die Zeichnung fokussiert sich auf wenige Figuren und Gegenstände in einem weiten weißen Raum. Die graue Bleistiftzeichnung in feinen dünnen Strichen arbeitet mit Schraffierungen Körperlichkeit heraus und erzeugt durch eine mit Sympathie eng an Gesichtsausdruck und Körper entlang bewegte Linienführung Nähe zu dem Herrn Anton und auch zu seinen Tieren.
Kleine Fakten wie der, dass Antons Hose durch Hosenträger gehalten wird, er seinen Tee auf einem altmodischen befeuerten Küchenherd mit Ofenrohr kocht und er die Zeit auf einer Taschenuhr kontrolliert und dass das Zootor, Laternen im Zoo und das Haltestellenschild für den Bus schön verschnörkelt sind, versetzen die Handlung in eine unbestimmte Vergangenheit. Überhaupt spielen die reduzierte Farbgebung und die zarte sorgfältige Strichführung auf die große Tradition der viktorianischen Bilderbücher an.

INHALT
Herr Anton ist ein schmaler, schüchtern und linkisch (X-Beine, große Füße) wirkender Mann, nicht alt, nicht jung, ein einsamer skurriler Sonderling mit markanter Physiognomie, der keinen Anschluss an die menschliche Gesellschaft gefunden hat (aber unsere Sympathie hat er). Dementsprechend gibt es im ganzen Bilderbuch keine einzige weitere menschliche Gestalt, sogar die Straßen der Stadt sind leer, und in den Fenstern ist nur gelegentlich ein Tier zu sehen. Zu Haus sind nur die allerkleinsten Tiere, eine Maus und ein Kanarienvogel, seine Gesprächspartner und leisten ihm Gesellschaft. Erst im Zoo zwischen seinen Freunden, den kleinen und auch den ganz großen Tieren, lebt er auf. Das ist seine Familie. Als er auf einer Bank im Zoo einschläft, umsorgen sie ihn, Maus und Vogel sitzen auf seiner Schulter, das ist ein wahrhaft franziskanisches Bild – ein Gegenbild zu dem lauten Tierfreund Dr. Dolittle.

VERMITTLUNG
Die Handlung kommt langsam in Gang. Die Rezipienten müssen auch rätseln, was das für ein Dienst ist, für den Anton seine Uniform anzieht, wofür er eine große Tasche bereit stellt und wofür er Schirme mitnimmt. Erst im Fortlauf der Erzählung wird offenbar, zu welchem Arbeitsplatz er mit dem Bus fahren muss, und erst am Schluss des Buchs erfahren die Betrachtenden und Lesenden, dass die rätselhafte große Tasche Badesachen enthält und die Schirme für den Sonnenschutz am Strand bestimmt sind. Jetzt findet auch eine Auflösung, was es mit dem Wasserball in seinem Schlafzimmer auf sich hatte.
Das bedeutet, dass der Einstieg für Kinder etwas spröde und abweisend wirkt: Eine erwachsene, etwas sonderlich wirkende Person als Identifikationsfigur, die große Zurückhaltung in den Farben, der ungewohnte historisierende Zeichenstil, das alles wird Kinder nicht spontan zu diesem Bilderbuch greifen lassen. Während Erwachsene sich von seinem nostalgischen Charme, dem delikaten Zeichenstil und der Poesie von Selbstgenügsamkeit bezaubern lassen, ebenso von dem leisen britischen Humor in der Darstellung der sich menschlich betätigenden Tiere.
Die Vermittelnden sollten sich bemühen, den betrachtenden Kindern über die ersten Hürden hinwegzuhelfen. Denn dann, wenn der Herr Anton in die Freundschaft, Liebe und Fürsorge seiner Tiere eintaucht, werden die Kinder emotional stark berührt. Hier finden sie sich selbst wieder: Wo sie in der Erwachsenenwelt die unverstandenen Underdogs sind, sind sie mit Tieren glücklich, wenn sie sich einsam fühlen und werden mit Anton Freundschaft schließen.
Die Kinder können von eigenen Erlebnissen mit Tieren erzählen und sie zeichnen.
Sie lernen ebenso, dass Freundschaft auch Rücksichtnahme und gegenseitige Hilfe bedeutet.

Das Schlussbild, auf dem die Tiere und Anton in Rückenansicht in die Betrachtung des Meeres versunken sind, wird nur den erwachsenen Vermittelnden als satirische Anspielung auf die Bilder von C. D. Friedrich wahrgenommen werden.

Zum Autor und der Illustratorin
Philip C. Stead wurde 1982 in Farmington Hills, Michigan geboren.
Er bekam für das Buch "A Sick Day for Amos McGee" die Caldecott-Medaille. Amos McGee heißt in der deutschen Übersetzung Herr Anton. Mit dieser Figur gibt es noch einige andere englische Bilderbücher. Zusammen mit seiner Frau, der Illustratorin Erin Stead, schuf er noch eine ganze Reihe anderer Bilderbücher, die in viele Sprachen übersetzt wurden.
Sie leben und arbeiten heute in Michigan, USA, auch in New York.
In deutscher Übersetzung gibt es noch die Titel „Der Tag, an dem Amos Goldberg zu Hause blieb“, „Als Bär erzählen wollte“ und „Das Verschwinden des Prinzen Oleomargarine“
Erin E. Stead wurde bereits durch die Illustrierung von Titeln wie "Der Flaschenpostfinder" oder "Wenn du einen Wal sehen willst" bekannt.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Geralde Schmidt-Dumont; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 06.02.2024