HEIM

Autor*in
Günter, Mirjam
ISBN
978-3-423-70884-5
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
301
Verlag
dtv
Gattung
Ort
München
Jahr
2004
Lesealter
ab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Fachliteratur
Preis
7,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Zwei Jahre aus dem Leben eines Mädchens, das nirgends hingehört und von Vertretern des Jugendamtes hilflos von einem Heim zum nächsten geschickt wird. Ein waches und kluges Mädchen, das mit Wut und Aggression auf Maßnahmen reagiert, die es als sinnlos erkennt. Ein bitterer Bericht mit tragikomischen Episoden.

Beurteilungstext

Ein ermüdendes, entsetzendes Buch. Die Ich-Erzählerin bleibt ohne Namen und berichtet von einem unbekannten Standort aus im Rückblick von zwei Jahren ihres Lebens. Ihre Sprache ist sachlich, sie wahrt immer Abstand zum Geschehen, wirkt unbeteiligt und bemüht um korrekten Ausdruck. Was die Heldin berichtet - am Anfang ist sie dreizehn, am Ende fast fünfzehn - erscheint unglaublich: Es geht um Jugendliche, die ohne Familie leben müssen, die als "unerziehbar" von einem Heim in das nächste geschickt werden. Es geht um Erzieher, die anscheinend völlig hilflos in Heimen neben den Jugendlichen leben und aus Angst vor ihnen nur vage Versuche zum Eingreifen starten. Es werden Heime geschildert, in denen Jugendliche sich absolut selbst überlassen sind und das tun, was sie kennen und können: trinken, rauchen, klauen, weglaufen, sich prügeln. Polizisten zeigen mehr Mitgefühl und Verständnis als alle Vertreter des Jugendamtes. Die Ich-Erzählerin durchschaut das Treiben, versucht ihre Wünsche zu artikulieren. Wenn es ihr gelingt, Schulbesuch durchzusetzen, scheitert sie aber dennoch. Sie kann sich nicht anpassen. Sie ist voller Misstrauen und reagiert so, wie es ihr vertraut ist. Sie schlägt, benimmt sich herausfordernd unflätig. Sie weiß das - sie kann nicht anders.
In den zwei Jahren sterben vier Jugendliche aus dem Umfeld der Chronistin, Freunde. Zwei töten sich selbst, einer vergiftet sich unabsichtlich, einer verunglückt im geklauten Auto. Am Ende des Berichtes finden drei Jugendliche aus dem Teufelskreis heraus. Fast hätte die Heldin auch ein Zuhause gefunden, nur das Jugendamt hielt diese Möglichkeit für unmöglich. Anfang und Ende der Geschichte gleichen sich: Wieder ein behutsames Aufnahmegespräch in einem Heim, das die inzwischen Fünfzehnjährige mit wütendem Zigaretteausdrücken auf dem Schreibtisch des Erziehers beendet.
Die Lektüre der dreihundert Seiten ist ermüdend, alles wiederholt sich immer wieder. Man muss sich zum Weiterlesen zwingen und wenn man sich Muße dabei gönnt, nimmt man Zwischentöne wahr. Man hat widerstrebend Vergnügen am Gegensatz von Sprache und dem Dargestellten. Nichts ist hier komisch - aber die akribische Darstellung von unsinnigem Handeln reizt zu hilflosem Lachen.
Für Erzieher und Lehrer ein anschauliches Lehrbuch. So kann es nicht gehen, ist die Botschaft. Was in Jugendlichen vorgeht, die keine Zukunft haben, die keiner braucht und niemand will, ist hier schmerzhaft mitzuerleben. Lösungsmöglichkeiten sind nicht gezeigt, die drei "Geretteten" haben einfach Glück.
Das Buch ist sehr umfangreich, betroffene Jugendliche werden es eher nicht lesen. Ausschnitte könnten aber Grundlage für Unterrichtsarbeit sein - nicht für Betroffene und Gefährdete, eher für die anderen, die ein besseres Schicksal haben.

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Diese Rezension wurde verfasst von Pfn.
Veröffentlicht am 01.01.2010