Gymnasium - Ein Ratgeber für Eltern

Autor*in
ISBN
978-3-423-34558-3
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
208
Verlag
dtv
Gattung
Ort
München
Jahr
2009
Lesealter
Einsatzmöglichkeiten
Preis
9,90 €
Bewertung
nicht empfehlenswert

Teaser

Das Thema ist von vornherein wegen der Bildungshoheit der Bundesländer und der damit verbundenen Unterschiede schon nicht schlüssig zu bewältigen. Aber selbst unter diesen Bedingungen kommen die "Ratschläge" über Allgemeinplätze nicht hinaus, reden sogar der außerschulischen (also zu bezahlendenden) Bildung das Wort. Leider gar nicht zu empfehlen.

Beurteilungstext

Für jedes der 10 Kapitel ließ sich auf fast jeder Seite Kritik äußern. Nennen wir einige Beispiele. Auf Seite 31 wird davon geredet, dass ein Lehrer seine Zensur im Verhältnis 60:40 geben wird. Kein Wort von verbindlichen Konferenzbeschlüssen, kein Wort vom Abweichen aus pädagogischen Gründen, man könne aufgrund der Lehreräußerung die Zensur sogar selbst ausrechnen. Dann treten aber klare Unkenntnisse der Autoren zu den Begriffen "schriftlich" und "mündlich" zutage: In den Erlassen ist deutlich geregelt, dass nur "die zu zensierenden Arbeiten", die Anzahl legt das jeweilige Kultusministerium fest, als "schriftlich" zu gelten haben; alle anderen Leistungen, auch die schriftlich fixierten, gelten als "mündlich". Dann werden Begriffe wie "versetzungsrelevante" Noten (man spricht nicht von "Zensuren") geprägt - auch das zeugt nicht von interner Kenntnis der Versetzungsverordnungen. Hausaufgaben dürfen gar nicht zensiert werden, weder die, die das Kind erstellt hat noch dann, wenn es die eigene Mutter war.
Das soll für den Bereich "Unkenntnis" reichen. Den Bereich "Allgemeinplätze" liefern die Empfehlungen, sich Wissen mit Hilfe von Merksätzen anzueignen (der Ort heißt übrigens immer noch Issos, also mit o). Ein alter Hut! Immer, wenn die Autoren meinen, eine Unterstützung ihrer Thesen sei nötig, wird "ein Fall" angeführt ("… wie bei dem dreizehnjährigen Jonas zum Beispiel …" ), der genau diese These belegt, zu belegen scheint.
Der Vorteil, den die Herstellung eines Spickzettels bringt, ist längst bekannt. Er gilt allerdings nicht für den, der ihn von seinem Freund erhält. Wer selbst das Wissen immer weiter im Hinblick auf "wichtig" komprimiert, der hat das Thema natürlich durchleuchtet und weiß, worum es sich handelt.
Aber dieser Fall scheint den Autoren dann wiederum auch nicht so wichtig zu sein. Denn einerseits kann die Klassenarbeit "merkwürdige Einzelheiten" abfragen, die Zensur trotz guten Wissens also negativ sein. Das aber wäre nach der Auffassung der Autoren die Katastrophe, denn es kommt laut Aussage auf Seite 116 gar nicht so sehr darauf an, dass das Kind etwas weiß oder lernt, die Zensur (Note) sei das Wesentliche. In diese Kategorie gehört auch der Tipp, dass der Schüler vor der Klassenarbeit eine selbst entworfene, fiktive am PC löst. Einerseits gehört das zum Standard, dass in Klassen häufiger in Gruppenarbeit (!) solche Aufgaben gestellt und gelöst werden sollen, andererseits taucht nun einmal ein "neues" Medium auf, der PC. Wie zum Beispiel gerade mathematische oder naturwissenschaftliche Aufgaben dort gelöst und vor allem schriftlich festgehalten werden können, wird nicht weiter betrachtet.

Richtig schädlich werden die Ratschläge allerdings, weil sie der "Nachhilfe-Industrie" das Wort reden. Gut, es kann wirklich Situationen geben (längere Krankheit, partieller Ausfall), wo etwas nach-gearbeitet werden muss, was im Unterricht nicht aufgefangen werden kann. Die Regel allerdings ist, dass Nachhilfe-Unterricht bewirkt: 1. Ich verstehe nicht, was mir in der Schule beigebracht werden soll. 2. Ich muss aber nicht mehr aufpassen, denn ich habe ja jetzt einen Nachhilfelehrer. 3. Nein, das Fach mag ich immer noch nicht.
Ganz anders wäre ein Tipp gewesen, der vorschlägt, dass das Kind, das in einem bestimmten Fach Schwierigkeiten hat, selbst Nachhilfe gibt(!). Nicht auf gleicher Schulstufe natürlich, sondern einem Kind ein- oder besser zwei Schulstufen tiefer. Der Erfolg liegt auf der Hand: Das Fach ist gar nicht so schlimm, denn ch verstehe ja, was da gefordert wird! Ich kann das sogar so gut, dass ich das jemand anderem erklären kann. Und dann kommt als Wiederholung in meinem eigenen Unterricht genau das Gebiet vor - und ich weiß total Bescheid! Das wäre einmal ein Tipp, der vielleicht ungewöhnlich, aber einleuchtend wäre. Wird aber nicht gegeben, ist ein Rat vom Rezensenten.
Stattdessen wird eine Nachhilfe-Industrie als "normal" angesehen, der man sich wohl mehr oder weniger unter dem Hinweis, dass der Stress innerhalb der Familie geringer wird, anschließen muss. Es wird nicht etwa die Politik oder die Gesellschaft in die Pflicht genommen, dass Bildung eben nicht etwas mit Geld zu tun haben darf! Nachhilfe kostet nämlich. Gleichzeitig wird aber mehrfach auf die PISA-Studien hingewiesen, dass in Deutschland zu früh selektiert wird und soziale Herkunft immer noch den Abschluss bestimmt. Gegensätzlicher könnten die beiden Positionen kaum sein.
Der Anhang gibt (angeblich) einige Hilfen, um als Eltern(teil) im Schriftverkehr mit der Schule formal richtig dazustehen. Erstens ist dazu zu sagen, dass die Eltern - ganz anders als die Schule - völlig frei sind sowohl in der Rechtschreibung als auch in der Form von Briefen. Mehr noch: Ein "Entschuldigungsschreiben" darf gar keins sein. Wenn ein Kind krank war, dann geht das weder die Schule noch den Klassenlehrer etwas an (Ausnahme: Ansteckungsgefahr), ja, es geht sie nicht einmal an, dass das Kind wegen Krankheit den Unterricht versäumte. Das ist dann auch gar nicht zu "entschuldigen" - wie denn auch? Ein Hinweis kann von der Schule gefordert werden, also: Mein Kind hat (gemeint ist: mit meinem Wissen) gestern den Unterricht versäumt. Datenschutz wird in den Schulen übrigens ziemlich groß geschrieben.

Was hätten wir uns gewünscht?

Einen Ratgeber für Eltern hätten wir gern, der den Kindern wie den Eltern einerseits die "Angst vor der Schule" nimmt, damit Konflikte zwischen Eltern und Schule bestanden werden können.
Einen Ratgeber für Eltern hätten wir gern, bei dem anderer- und wichtigerseits vor allem das Wohl der eigenen (wie der anderen) Kinder im Vordergrund steht.

Von Beidem kann bei diesem Buch leider nicht die Rede sein.

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Diese Rezension wurde verfasst von uhb.
Veröffentlicht am 01.01.2010