Gwendolyn

Autor*in
Obermayer, Inge
ISBN
978-3-7903-0552-4
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
170
Verlag
Bitter, Georg
Gattung
Ort
Recklinghausen
Jahr
2009
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
0,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Schade, dass unsere Welt so schnelllebig ist. Das Buch wird inzwischen bei amazon.de "verramscht", dabei ist das Thema ganz aktuell und wird sehr behutsam, fast liebevoll behandelt: Gwendolyn Müller (was für ein Name!) fliegt zu Freunden nach Chile und verliebt sich dort in einen Jungen aus den Slums, ja, sie heiraten sogar. Wie geht ihr Vater damit um, wie ihre Freunde? Welche Zukunft mögen die beiden haben?

Beurteilungstext

Die Geschichte könnte auch angelehnt sein an eine der Seifenopern, die Gwendolyn nach ihrer Heirat mit Alvaro in Chile auf dem Bett liegend anschaut, während sie auf ihren Mann wartet. Gwendolyn ist 16 Jahre alt, und wir haben sie durch eine schnörkellose Erzählung ziemlich gut kennengelernt, vor allem durch die vielen Rückblenden.

Gut behütet, Scheidungskind, schuluntauglich (denkt sie sich), nicht gerade auf der armen Seite der Gesellschaft. Dabei hat sie ihren eigenen Kopf, treibt sich in Deutschland mit Mischa herum. Jung, aber schon auf der Seite der Dealer. Den Polizisten schlägt er mit dem geliehenen Motorrad mehr als einmal ein Schnippchen. Gwendolyn, deren Name aus der Artus-Sage entlehnt ist, aber auf Müller so gar nicht passt, steht gegen den Druck ihrer Freunde und ihres Vaters lange zu Mischa. Als Gwendolyn aber eine Flucht vor irgendwelchen Verfolgern mit Mischa mitmachen muss, erkennt sie die aussichtslose Lage und zieht die Konsequenzen. Ein starkes Mädchen ist sie. Die Lederjacke wirft sie ihrem Freund vor die Füße.

Aber auch bevorteilt ist sie, durch Geld und durch Beziehungen. Eine davon führt zu reichen Freunden ihres Vaters nach Chile und zu ihrer Freundin Elaine. Dort führt sie das Leben, das auch wir als sehr angenehm empfinden würden. Sie kommt mit Jugendlichen ihres Alters zusammen, die aus der gleichen Klasse stammen; sie setzen sich allerdings auch für die Umwelt ein. Aber es sind immer Aktionen aus einer sicheren Position heraus, in die man - falls alles schief läuft - zurückkehren kann. Dann werden Kautionen bezahlt, Rechtsanwälte, Bestechungsgelder.

Und ganz plötzlich schiebt die Liebe unsere Gwendolyn in eine ganz andere Welt. Alvaro ist Autoschlosser, fährt selbst einen alten, dunkelgrünen Chevrolet. Ausbildung? Keine. Papiere? Keine. Zukunft in der Autowerkstatt? Keine, denn die wird bald schließen, von einem Tag auf den anderen. Kündigungsschutz? Keinen.

Da sind die beiden schon gegen alle Widerstände verheiratet, Gwendolyn verbringt die Tage auf der Liege in dem Haus aus Hartfaserplatten ohne Dach, schaut Soap-Operas im Fernsehen. Im TV geht alles "gut" aus: Die Heldin wird aus den Slums herausgeholt in die gute Welt des Reichtums.
Hier ist es allerdings umgekehrt. Gwendolyn begibt sich in diese andere Welt. Dann wird sie schwanger und Alvaro verliert seine Arbeit.


Der Umschlag des Buchs lässt an Paul Klee und Nordafrika denken. Der Titel ist gewöhnungsbedürftig. Doch schon der erste Satz zieht uns hinein in die Welt dieses Mädchens: "Ihr Handgepäck war schwerer als der Koffer." Da bricht jemand die Brücken ab, die gerade überquert wurden. Ihren Charakter, ihre Stärke lernen wir in den Rückblenden kennen und schätzen, und deshalb machen wir uns wohl auch keine richtigen Sorgen für ihre Zukunft nach Ende des Buches. Aber sie überrascht uns immer wieder mit ihren Entscheidungen, die wir als Erwachsene so gar nicht nachvollziehen mögen, vielleicht auch nicht können. "Du musst doch an die Zukunft denken!" hören wir uns mehrmals ihr zurufen. Aber eben die interessiert sie gar nicht. Gwendolyn lebt in der Gegenwart, Schule, Geld, Beziehungen interessieren sie offensichtlich gar nicht.

Damit sprengt sie deutlich die Ziele des Bürgertums, dem sie entstammt. Dabei macht sie alles richtig, ist stark und macht das, was ihr spontan als gut erscheint.
Ihr Verhalten und damit die Erzählung kippt erst, als sie ein Kind erwartet, als dies Kind in die flohverseuchte Behausung einziehen muss und als klar wird, dass das Geld nicht reichen wird, um es hier mit einer Zukunft zu versorgen.

Man könnte das Buch mit "Problemen" belasten, überfrachten: Scheidungsfamilie, Drogen, Schulverdrossenheit, koloniale Welt in Südamerika, Slums, Liebe, Klassengesellschaft, aber es handelt sich nur um ein Mädchen, das den Namen einer schönen Frau aus der Welt der Artus-Runde trägt (Ghwenhywar) und versucht, i h r Leben zu führen, am Ende sogar verantwortlich.

Diese Übernahme an Verantwortung für die Zukunft ist es, die nicht fehlen darf. Dann sind auch solche Ausflüge in die Welt einer anderen Klasse letztlich gerechtfertigt und richtig. Das erkennen übrigens auch Gwendolyns Vater und die Freunde in Chile.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von uhb.
Veröffentlicht am 01.01.2010

Weitere Rezensionen zu Büchern von Obermayer, Inge

Obermayer, Inge

Frau Kohn und Papa Leiman - Eine Kindheit 1933-1945

Weiterlesen