Gras unter meinen Füßen. Das Jahr, als ich leben lernte

Autor*in
Bradley, Kimberly
ISBN
978-3-423-64114-2
Übersetzer*in
Schäfer, Beate
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
336
Verlag
dtv
Gattung
Buch (gebunden)
Ort
München
Jahr
2024
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
FreizeitlektüreKlassenlektüre
Preis
16,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Ein mitreißend-spannender Roman der kindlichen Selbstermächtigung vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges.

Beurteilungstext

Susan und ihr jüngerer Bruder leben bei ihrer sadistischen Mutter in London, welche eine Fehlstellung von Susans Fuß nicht hat richten lassen. Deshalb kann Susan nicht laufen und wird von der Mutter im Zimmer eingesperrt. Ausgerechnet die Kinder-Land-Verschickung, die in England die Kinder von den Städten aufs Land vor den Bomben des „Deutschen Reiches“ in Sicherheit brachten, rettet Susan aus dieser Hölle. Kimberley Bradley geht damit einen mutigen geschichtsdidaktischen Schritt: Sie lässt die Misshandlungen, die Kindern bei diesen Verschickungen angetan wurden, nicht aus, nimmt aber die beiden Protagonist*innen davon aus und lässt sie stattdessen in eine befreiende Familiensituation gebracht werden. Auf diese Weise wird die Polyvalenz von literarisch erfahrbarer Alltagsgeschichte deutlich, die immer ein ganzes Feld an Praktiken innerhalb einer Gesellschaft bereithält. Der Krieg ist dabei sowohl grausame Vernichtung des Lebens als auch ein Modernitätsschub, der das Zusammenleben von Kindern und Erwachsen betrifft.
Die Erzählung, die zur Ermächtigung der beiden Geschwister – aber insbesondere Susans – führt, ist aus der Perspektive der Ich-Erzählerin geschrieben. Das ist in diesem Fall ein großes Unterfangen, da Susan immer wieder posttraumatische Erfahrungen hat und ein Selbstwertgefühl nur langsam entwickeln kann. Bradley gelingt dies, indem sie ihre Figur die Wirkungen, die Empfindungen, aber auch die Sprachlosigkeit wiedergeben lässt, die einem Kind entsprechen. Dadurch wirken diese Szenen authentisch.
Eine große Bedeutung haben – neben der Liebe der Gastmutter (die sich erst aufbauen muss) – Wörter. Susan und ihr Bruder kennen viele Wörter nicht – ihre soziale und ökonomische Verwahrlosung zeigt sich im wortwörtlichen Fremd-Sein in der neuen Umgebung. Susan entwickelt dabei ein Potenzial für die Verwendung und Reflexion der Wörter. Es ist schade, dass dieser Strang insgesamt ins Leere läuft, hier wäre eine literarische Auseinandersetzung mit Mehrsprachigkeit als Raum zwischen Verstehen und Nichtverstehen möglich gewesen.
Bartleys Jugendroman vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges ist kein Schonraum, aber eine spannend geschriebene Erzählung, welche Modernitätsschübe als historisches Ereignis für Kinder erfahrbar machen kann.

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Diese Rezension wurde verfasst von Astrid Henning-Mohr; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 04.03.2024