Gras unter meinen Füßen

Autor*in
Brubaker Bradley, Kimberley
ISBN
978-3-96632-083-2
Übersetzer*in
Schäfer, Beate
Ori. Sprache
Amerikanisch
Illustrator*in / Sprecher*in
Schnöink, Birte
Umfang
467  Minuten
Verlag
Hörcompany
Gattung
Digitale MedienErzählung/Roman
Ort
Hamburg
Jahr
2024
Alters­empfehlung
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre10-11 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
FreizeitlektüreBücherei
Preis
20,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Die 10-jährige Ada lebt mit Mutter und Bruder Jamie in prekären Verhältnissen. Weil sie mit einem Klumpfuß geboren wurde, durfte sie die Wohnung noch nie verlassen. Wegen erwarteter Bombierungen werden viele Londoner Kinder aufs Land evakuiert. Ada und Jamie werden bei Susan Smith untergebracht. Dort lernen sie nach und nach, dass das dortige Leben ganz andere Facetten zu bieten hat; beide entwickeln sich weiter und werden selbstbewusster. Doch der Krieg erreicht auch ihre neue Heimat.

Beurteilungstext

Die Verhältnisse, in denen die Ich-Erzählerin und Protagonistin Ada aufwächst, sind schlichtweg katastrophal. Die Mutter jobbt in einer Bar, kommt finanziell kaum über die Runden. Die Einraumwohnung ist mit uralten Möbeln bestückt und alles andere als gemütlich. Die 10-jährige Ada und ihr 6-jähriger Bruder Jamie sind Schläge von der Mutter zur Genüge gewohnt. Ada, die mütterlicherseits ständig als Missgeburt und Monster tituliert wird, muss dann auch gleich noch in einem muffigen Verschlag unter der Spüle verschwinden. Von Mutterliebe demnach keine Spur. Wegen ihres angeborenen Klumpfußes bewegt sich Ada nur auf allen Vieren vorwärts; aus dem Haus darf sie ohnehin nicht, das wäre der Mutter einfach zu peinlich. Irgendwann bringt sich das Mädchen bei, trotz starker Schmerzen ein paar Schritte zu laufen. Als Jamie und andere Kinder anno 1939 wegen drohender Bombardierung Londons aufs Land evakuiert werden, schließt sie sich spontan an. Bei einer Miss Smith kommen sie zwangsweise unter. Das Verhältnis ist eher kühl, doch immerhin gibt es bei Miss Smith niemals Prügel zur Bestrafung. Und zu essen gibt es auch reichlich. Jamie will immer wieder nach Hause, während Ada es genießt, ihre neue Umwelt wahrzunehmen und – dank Krücken, die sie bekommen hat – auch zu erkunden. Es dauert Monate, bis das früher so geschundene Mädchen allmählich ein Selbstbewusstsein entwickelt. Trotz mancher Rückschläge scheint alles sehr gut zu laufen, zumal Susan Smith intuitiv zumeist richtig mit den dereinst verwahrlosten Kindern umzugehen weiß.
Als der Luftkrieg samt Bombardierung näher kommt, wird es auch für die Kinder gefährlich. Mehr noch, als ihre Mutter nach einem Jahr, in dem sie sich trotz Anfrage nie gemeldet hat, plötzlich auftaucht und beide Kinder zurück nach London mitnimmt. Alles scheint aus zu sein. Aber Ada, die einiges an Lebenserfahrung und Selbstsicherheit dazugewonnen hat, ist keineswegs bereit, in das schreckliche alte Leben zurückzukehren. Und sie findet einen Ausweg.
Mit „Gras unter meinen Füßen“ hat die amerikanische Autorin Kimberley Brubaker Bradley einen sehr emotionalen Jugendroman vorgelegt. Es ließe sich zwar anführen, dass die Konstellationen des Plots etwas krass und wirklichkeitsfremd sein mögen. Dennoch wirkt der Verlauf der Geschichte insgesamt stimmig. Die Schilderung häuslicher Gewalt der Mutter gegen die eigenen Kinder ist verstörend, zumal Jamie und Ada dies achselzuckend als gegeben hinnehmen: Sie kennen es halt nicht anders.
Ada ist alles andere als ein vom Schicksal begünstigtes Kind. Die über zehn Jahre andauernden verbalen Demütigungen ihrer Mutter („Missgeburt, Monster, zu nichts nütze“ u.v.m.) haben sie abgestumpft und nahezu keinerlei Selbstbewusstsein entstehen lassen. Doch Ada ergreift die Chancen, die sich ihr mehr oder weniger zufällig bieten. Und es gibt in ihrer neuen Umgebung bei Susan Smith immer wieder Ermutigungen von anderen. Das ist ausgesprochen einfühlsam beschrieben. Ebenso wie auch die Problematik des Klumpfußes, der, hätte die Mutter frühzeitig Hilfe gesucht, längst hätte gerichtet sein können - was jetzt leider nicht mehr möglich ist. Von anderen Menschen nicht mehr nur auf diese körperliche Behinderung reduziert zu werden, das muss Ada erst einmal für sich als positive Erfahrung akzeptieren, um ihr Potenzial an aktiver Gestaltung ihres Lebens abrufen zu können. Und ganz allmählich wird sie vom 10-jährigen Kind zu einer selbstbewussten jungen Frau.
Wie sich Ada nach und nach auf unterschiedlichen Ebenen ihre neue Welt erobert, das zu hören, geht zu Herzen und macht Freude, zumal es gut nachvollziehbar geschildert wird.
Der deutsche Bombenangriff auf England zwingt die bei Susan Smith in dörflicher Idylle lebenden Kinder, auch die grausame Realität eines Krieges mitzuerleben. Die Autorin nutzt dies, um auch jungen Leserinnen und Lesern zu verdeutlichen, was derartige Verhältnisse an massiven Veränderungen des täglichen Lebens bedeuten können.
Es gibt im Text viele tiefsinnige Gedanken, die aus Adas Sicht, also der Sicht eines Kindes, in einfachen und gut verständlichen Worten beschrieben werden. Dabei handelt es sich um Gedankeninhalte und Lebensfragen, die so oder ähnlich jeden jungen Menschen irgendwann beschäftigen. Susan Smith, die selbst keine spezifische pädagogische Leitlinie vertritt, steht quasi für die „gute“, die verständnisvolle Seite, während die leibliche Mutter das absolute Gegenteil darstellt: Allein die biologische Abstammung reicht nun einmal nicht aus, um automatisch eine gute Eltern-Kind-Bindung zu garantieren. Die Ablösung von der Mutter ist für die Kinder überaus schmerzlich, aber folgerichtig und ein Schritt zum Erwachsenwerden und zur Eigenständigkeit.
Heranwachsende ab etwa 10 Jahren, für die dies Buch sehr empfohlen werden kann, dürften sich - ungeachtet der im Vergleich zur heutigen Zeit erheblich anderen Verhältnisse, in denen sich Ada behaupten muss - recht gut mit der letztlich mutmachenden Figur der Protagonistin identifizieren können.
Schauspielerin Birte Schnöink hat den Roman eingelesen. Ihre Stimme ist unaufdringlich, wirkt aber keineswegs unbeteiligt. Sie passt in Lesetempo und Sprachmelodie sehr gut zur Erzählerin Ada, kurz: man kann ihrer fast achtstündigen Ausführung bestens zuhören.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Gerd Klingeberg; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 20.03.2024

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