Godland. Dein ewiges Leben hat einen Preis.

Autor*in
Schäuble, Martin
ISBN
978-3-7373-4311-4
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
333
Verlag
FISCHER KJB Sauerländer Duden
Gattung
Buch (gebunden)
Ort
Frankfurt am Main
Jahr
2023
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
15,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Das Thema Künstliche Intelligenz ist in aller Munde – spätestens seit „ChatGPT“ aufzeigt, welche tiefgreifenden Auswirkungen die Leistungen solcher Systeme auf viele Lebensbereiche haben können. Martin Schäuble spielt in seinem Roman Gedanken durch, wie in einer gar nicht fernen Zukunft Menschen abhängig von einer Künstlichen Intelligenz werden können, sich gegen sie behaupten müssen und ihr Menschsein grundlegend neu definieren.

Beurteilungstext

Yolanda ist 15 und lebt auf einer Serverinsel – einem verwahrlosten Stahlungetüm im Pazifik, welches in erster Linie dazu dient, aus Sonne, Wind und Wellen Energie für einen Superrechner irgendwo weit unter der Meeresoberfläche zu produzieren. Ihre eigentliche Heimat ist vor etwas zehn Jahren den Kriegen zum Opfer gefallen, die sich die Menschheit um die immer knapper werdenden Ressourcen in einer von Umweltzerstörung und Klimawandel betroffenen Welt liefert. Mit ihrem Vater und einer Handvoll weiterer Menschen lebt sie unter erbärmlichen Verhältnissen auf der künstlichen Insel. Beherrscht und gesteuert wird die Gruppe von „Godmother“, einer KI, die die „Analogen“ überwacht, ihnen Anweisungen gibt und sie immer wieder mit einem Versprechen motiviert: Nach jeweils 20 Dienstjahren werden angeblich alle damit belohnt, ins „Godland“ hochgeladen zu werden – sie tauschen dann ihre irdische, materiell-körperliche Existenz gegen ein immerwährendes digitales Paradies, dass jede und jeder nach eigenen Wünschen simulieren kann. Die Hoffnung darauf ist auch nötig – zu miserabel sind die Lebensbedingungen. Die Serverinsel verrottet, Ersatzteile fehlen, alle Arbeiten werden manuell ausgeführt und sind anstrengend und gefährlich; vor allem aber wird der Hunger immer bedrohlicher, seit keine Versorgungsschiffe mehr ankommen. Trotz dieser Lebensumstände verzweifelt Yolanda nicht und setzt sich auch mit „typischen Teenagerproblemen“ auseinander – der Freundschaft zu Silver und Tian, ersten Gefühlen für Jungen, Problemen mit den Erwachsenen. Ihre Welt gerät ins Wanken, als sie bemerken muss, dass Godmother sie mehr und mehr manipuliert und zu Lügen zwingt. So müssen die Jugendlichen helfen, den Selbstmord einer Bewohnerin der Insel zu vertuschen. Schließlich wird Yolanda gestattet, Godland einen Besuch abzustatten – sozusagen ein Appetitmacher auf das angebliche wunderbare digitale Leben der Zukunft. Doch auch dieser Ausflug verläuft verstörend. Yolanda gerät in immer größere Gewissenskonflikte. Ihre Freunde Silver und Tian bringen sie schließlich dazu, sich einer Rebellion gegen die KI anzuschließen und von der Insel zu fliehen. Erstmals begreift das Mädchen, dass es doch noch andere „analoge Menschen“ gibt, die zwar karg, aber weitgehend natürlich und selbstbestimmt leben. Sie entscheidet sich, der Aufforderung eines Programmierers der Aufständischen zu folgen und ihm zu helfen, die KI und das vermeintliche digitale Paradies zu zerstören, es dauerhaft abzuschalten – der permanenten Manipulation wegen, aber auch weil offensichtlich ohnehin nicht mehr genügend Ressourcen zur Verfügung stehen, die gewaltige Datensimulation zu unterhalten. „Etwas bieten“ kann Yolanda den Menschen alternativ kaum – lediglich die Möglichkeit, wieder ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Martin Schäuble setzte sich in seinen bisherigen, sehr erfolgreichen Jugendbüchern immer wieder mit politisch und gesellschaftlich brisanten Fragen auseinander. „Godland“ schließt nahtlos daran an. Das vom Autor entworfene Szenario scheint keine solch weit in der Zukunft angesiedelte Dystopie zu sein, als die sie womöglich noch vor wenigen Jahren angesehen worden wäre. Sowohl die akute Bedrohung des Lebens auf dem Planeten durch Raubbau und Klimaveränderung wie auch die rasant fortschreitende Entwicklung digitaler Systeme, die Leistungen simulieren, erstellen oder auch verhindern können, die bislang als genuin menschlich angesehen wurden, sind von größter Aktualität. Dass sich Menschen damit auseinandersetzen müssen, welche künstlichen Intelligenzen sie gestalten und zulassen und wo sie Grenzen setzen wollen, ist notwendig; dass solche KI-Systeme gegebenenfalls selbst Macht ausüben können und Menschen zu „Dienern“ degradieren, ist keine völlig absurde Vorstellung mehr. Schäuble gestaltet diesen Konflikt in einem spannenden und flüssig erzählten Roman, der eine weitgehend stringente und nachvollziehbare Handlungskette entwirft. Die Problemkonstellation wird ansprechend begründet. Vor allem überzeugt der innere Konflikt, den Yolanda austrägt – sie möchte einerseits die Hoffnung auf ein schöneres „Leben“ im digitalen Raum nicht zerstören und empfindet Godmother gegenüber auch Loyalität; anderseits kann sie den permanenten Lügen nicht mehr Vorschub leisten und ist gezwungen, sich zu entscheiden. Besonders gut gelingt dem Autor die Schilderung der bedrückenden Lebensumstände auf der Insel; sie sind mit deftigem Realismus nachgezeichnet. Auch die Protagonistin Yolanda wird sehr anschaulich charakterisiert. Weniger überzeugend sind die weiteren Hauptpersonen dargestellt – selbst so wichtige Figuren wie Yolandas Vater, Tian und Silver bleiben etwas schemenhaft. Bei der Darstellung der KI Godmother, ihrer Handlungsweisen und ihrer Instrumente zur Machtausübung bleiben einige „blinde Flecken“ und nicht sauber herausgearbeitete Kausalitäten. So ist nicht wirklich nachvollziehbar, warum es der mächtigen KI nicht gelingen soll, andere Möglichkeiten der Stromerzeugung als die altersschwachen Windräder und Sonnenkollektoren auszutüfteln und einzusetzen oder warum sie versuchen muss, die Jugendlichen zur „Nachwuchserzeugung“ zu drängen, um neue Arbeiter zu generieren. Auch dass Yolandas verschollene und totgeglaubte Mutter am Ende wieder erscheint, ist nicht besonders überzeugend.
Trotz dieser Schwächen kommt Schäuble das Verdienst zu, ein wichtiges Thema ansprechend darzustellen.

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Diese Rezension wurde verfasst von RPKJ; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 06.05.2023