Gestatten, Mr. Stink

Autor*in
David Walliams,
ISBN
978-3-499-01030-9
Übersetzer*in
Dorothee Haentjes-Holläder,
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Quentin Blake,
Seitenanzahl
233
Verlag
Rowohlt
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Hamburg
Jahr
2023
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
FreizeitlektüreVorlesen
Preis
16,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Mr. Stink verbringt mit seinem Hund die Tage auf einer Bank. Er hat weder Schlaf- noch Waschplatz. Die Menschen kennen ihn, beachten ihn aber nicht. Chloe, die täglich an ihm vorbeigeht, setzt sich um die Weihnachtszeit trotz seines Gestanks zu ihm, um ihm etwas zu schenken. Dabei bleibt es nicht. Sie lernen sich gut kennen und es gelingt, dass sich auch die Eltern um den Obdachlosen kümmern müssen. Vor allem die Mutter, die als Politikerin kandidiert, würde lieber rigidere Gesetze einführen.

Beurteilungstext

Das Mädchen Cloe ist zwölf Jahre alt und ihm graut bereits vor den kommenden Festtagen. Sie kann mit Weihnachten nichts anfangen und Geschenke sind ihr nicht wichtig. Die Schule im Internat interessiert sie auch nicht. Ihre Eltern leben ein eigenes Leben, wobei das ihrer Mutter vor allem davon bestimmt ist, als Politikerin gewählt zu werden. Später einmal Premierministerin zu werden, hält sie für ein erreichbares Ziel. Jede Rede der Queen ist Pflichtprogramm in der Familie. Der Vater – er arbeitet in einer Autofabrik - scheint eine eher trostlose Rolle zu spielen. Beide haben sich schon sehr lange voneinander entfernt. Er funktioniert bisher nur noch und lässt sich „kleinmachen“. Er wehrt sich dagegen nicht. Später wird er sogar arbeitslos. Diesen Status lehnt die Mutter in ihren Programmen strikt ab.
Chloes Schwester erfüllt alle schulischen und sportlichen Erwartungen übermäßig und verhält sich deswegen sehr arrogant. Ihr Stundenplan ist vollgestopft mit Kursen, in denen sie sich profiliert. Schon vor dem Frühstück trainiert sie für den Triathlon. Oft provoziert sie Streit, denn Chloe ist ihr genaues Gegenteil. Sie isst gerne und hat keinerlei Ehrgeiz.
Was sie beschäftigt, was sie gerne mag, interessiert niemanden in der Familie. So ist die Mutter entsetzt, als sie im Mathematikheft der Tochter eine Vampirgeschichte entdeckt und Text und Heft zerreißt.
Chloe fühlt sich heimatlos, so wie der Vagabund auf der Bank. Sie bietet Mr. Stink Würstchen an, die er gern annimmt. Schon wegen seines Hundes. Es beginnt schnell eine Freundschaft. Der alte Mann hat schnell herausgefunden, dass etwas Besonderes in dem Mädchen steckt und auch, dass sie große Sorgen hat. Er unterstützt sie gegenüber gemeinen Kindern ihrer Klasse. Er stellt diese zur Rede. Er nimmt auch Stellung zum Verhalten der Eltern und spricht Chloe immer wieder Mut zu.
Umgekehrt entlockt Chloe dem Vagabunden sehr langsam seine Geschichte. Sie muss sich zunächst aber mit Beobachtungen begnügen und ihrer großen Phantasie.
Mr. Stink stört sich nicht daran, dass er ausgegrenzt werden könnte und besucht sogar ein Cafe mit Chloe. Die Gäste fliehen vor dem ungeheuren Gestank. Seine Sicherheit und sein Benehmen lassen schnell vermuten, dass er eine bewegte Vergangenheit hinter sich hat und aus sehr guten Verhältnissen kommen könnte. Chloe denkt sich hierzu alle möglichen Varianten aus, vom Seeräuberhauptmann bis zu anderen wichtigen Positionen. Ein kleiner Silberlöffel und ein Tuch mit Signatur verweisen schließlich darauf.
Während sich Chloe mit dem Leben des Vagabunden beschäftigt, verfasst ihre Mutter immer grausligere Texte und Parolen, mit denen sie sich einen Spitzenplatz der Partei verspricht. Es geht vor allem um Sauberkeit, Ordnung, Vertreibung von arbeitsscheuen Menschen. Sie erhält dafür viel Unterstützung.
Als es regnet und es immer kälter wird, bringt Chloe Mr. Stink mit seinem Hund „die Gräfin“ im Schuppen des elterlichen Gartens unter. Der fühlt sich dort sehr wohl und fängt langsam an, Forderungen zu stellen. Das dies nicht verborgen bleibt, ist vor allem dem fürchterlichen Gestank zuzuschreiben. Mr. Stink will aber nicht in der Wanne baden, er bevorzugt den Gartenteich.
Die Presse bekommt Hinweise und schließlich gibt die Mutter es als ihre Idee aus, einen Obdachlosen aufgenommen zu haben. Das kommt gut an in der Öffentlichkeit. Es gibt eine Einladung in eine der wichtigsten Talk-Shows, in der Mr. Stink Wahrheiten ungeschönt ausspricht. Dazu benutzt er mit Absicht eine ausgesprochen vulgäre Sprache, indem er u.a. Details über seine Verdauung preisgibt. Das Publikum hat seinen Spaß. Menschen skandieren vor dem Haus „Mr. Stink soll Premierminister werden“.
Die Mutter brüstet sich dennoch, dass sie ihn von der Straße geholt hat, doch er stellt richtig, dass die Tochter die eigentlich Handelnde war.
Mr. Stink wird zum Premierminister eingeladen, im Hubschrauber abgeholt. Es könnte für seine Wahl gut sein. Letzterer gibt ein sehr schlechtes Bild ab. Später fahren Mr. Stink und Chloe empört mit dem Bus zurück nach Hause.
Über den Löffel und das Taschentuch erfährt sie schließlich, dass er einmal ein Lord war und ein riesiges Anwesen besaß. Er war einmal „stink-vornehm“. In einer Nacht vor Weihnachten sei er unterwegs gewesen und hatte seine geliebte Frau zu Hause gelassen, weil sie schwanger war und kurz vor der Geburt stand. In dieser Nacht verlor er beide durch einen Brand in seinem Anwesen. Er gab sich die Schuld, sie nicht gerettet zu haben und hat sich nie verziehen.
Es gibt später noch eine gute Veränderung in der Familie. Der Vater spielt wieder Gitarre, die Mutter erinnert sich an ihre früheren Werte und die Schwester Annabel lehnt den endlosen Leistungswahn ab.
Auch, wenn die Geschichte an vielen Stellen sehr absurd daher kommt, macht es Spaß, sie zu lesen. David Williams spielt mit Vorurteilen und extremen Gegensätzen, hat aber dabei die Diskrepanz im Blick, die die Welten der arbeitenden Bevölkerung oder Randgruppen von den Interessen der Politiker trennen. Er deutet die Entfremdung an, die mit der Professionalisierung entsteht und nimmt ein Einzelschicksal heraus. Pauschale Ausgrenzung lässt er nicht zu. Komisch dabei ist die Rolle der Medien und der Presse.

David Williams Dialoge sind stimmig. Bei den Erwachsenen meint man, den ironischen oder arroganten Unterton herauszuhören. Vor allem die Unterhaltungen der Eltern und Politiker decken deren Haltung auch in ihrer Sprechweise auf, wobei er die Scheindiskussionen persifliert. Dabei überzeichnet er ein wenig, doch so, dass es letztlich noch möglich sein könnte? Lediglich die Agenda der Mutter ist zu deutlich überzogen, als das sie echt sein könnte: „Ausgangssperre für Kinder unter dreißig Jahren“, „Licht ausmachen ab 21.00 Uhr“ oder „Antifußpilzsocken in öffentlichen Schwimmbädern“, „Polizei mit neuen Rechten“ ausstatten gegen „zu lautem Unterhalten in der Öffentlichkeit“ und „Abschaffung aller betriebsinternen Weihnachtsfeiern wegen fortwährender Anzüglichkeit“ . Die Agenda ist eine Persiflage auf Wahlforderungen.
Die Erzähl- und Sprechweise von Chloe ist ehrlich. Sie kann und will sich nicht verstellen. Mr. Stink ist daher sofort von ihr eingenommen.
Die Illustrationen von Quentin Blake scheinen eher skizziert, doch sie sind hier ein passendes Stilmittel. Er arbeitet mit grauen, selten schwarzen Bleistiftlinien. Der Vagabund sitzt z.B. auf seiner Bank und zerfällt fast, wäre da nicht noch der ebenfalls graue Unter- und Hintergrund mit dünner grauscheinender Wasserfarbe. In wenigen Strichen schafft der Künstler es, dem Mann und seinem Hund sein erlebnisreiches Leben einzuprägen. In allen dargestellten Szenen lässt er die Protagonisten lebendig werden. Die momentanen Gefühle sind so gut erfasst, dass sie den Text zusätzlich bereichern. Herrlich, die Gegensätzlichkeit der Schwestern, als sie die Wahlwerbung für „Crumb“ in Händen halten, die sie in der Nachbarschaft verteilen sollen: die eine hochnäsig und sich wichtig nehmend, die andere ablehnend und überfordert. Die eine nimmt sich den ganzen Stapel, die andere möchte am liebsten das eine Blatt gar nicht erst gelesen haben. Auch die Darstellung des inszenierten Frühstücks im Haus der Eltern mit einem Journalisten gibt den Text und die Haltung der Agierenden wieder. Im Gegensatz dazu steht die Figur des Vagabunden, der ans Fenster klopft und höflich bittet „Entschuldigen Sie bitte die Störung…. Aber ob ich jetzt wohl mein Frühstück bekommen könnte?“. Diese Scene könnte auch in einem Comic vorkommen, mit nur wenig Text. Es ist die eigentliche Schlüsselszene, die die Mutter zwingt, sich unverzüglich ein neues Image zu verschaffen. Eine der letzten Seiten zeigt Mr. Stink, Chloe und seinen Hund. Sie stehen unter dem übergroßen Mond mit dem markanten Stern und zeigen in reduziertester Zeichnung deren Zuneigung zueinander, als sie an die umgekommene Familie des Vagabunden denken.
Von nun an würde er in dem kleinen Stern daneben nun Chloe erkennen. Er wird weiterziehen. Sie aber wird in ihrem Mathematikheft mit einer neuen Erzählung beginnen „Mr. Stink stank…“

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Diese Rezension wurde verfasst von stoni; Landesstelle: Nordrhein-Westfalen.
Veröffentlicht am 30.08.2023