Emails vom Tod

Autor*in
Nisinbaum, Inka
ISBN
978-1-7219-8449-7
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
178
Verlag
‎ Penhaligon
Gattung
Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
o.A.
Jahr
2018
Lesealter
16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Fachliteratur
Preis
9,10 €
Bewertung
eingeschränkt empfehlenswert

Teaser

Die junge Frau Lina weiß noch nicht, dass sie einen inoperablen Hirntumor hat. Sie ist überrascht, eine Email vom Tod zu bekommen, in der ihr Sterben in den nächsten Wochen angekündigt wird. Was wird sie antworten?

Beurteilungstext

Am 12. September bekommt Lina Kampman eine Email von Beate Klein, der Sekretärin des Todes, die sie darüber informiert, dass sie nur noch 3 Monate zu leben hat. Lina denkt zunächst, dies sei ein schlechter Scherz, doch 3 Tage später bekommt sie vom Neurologen die Diagnose „Inoperabler Hirntumor“. Nach anfänglichem Widerstand lässt sie sich auf einen Emailwechsel mit dem Tod ein, der alle Phasen der Auseinandersetzung mit dem Sterben enthält.
Die Antworten des Todes auf Linas Emails und deren durchlebte Sterbephasen sind an ein hinduistisches Konzept angelehnt. Beispielsweise wird das Leben nicht linear betrachtet, sondern als wiederkehrender Kreislauf. Das Erleben ist damit also nicht mit dem Tod beendet, sondern geht nach dem Sterben zirkulär weiter. Jeder Lebensverlauf bildet damit einen Kreis, keine Gerade (S. 105).
Während die Autorin den Tod zu Beginn des Buches noch sehr zurückhaltend und ausweichend darstellt, werden dessen Antworten zunehmend deutlicher. Zum Konzept der Seele äußert sich der Tod z.B. anfänglich noch offen, ob es nach dem Ableben weiter gehe oder nicht, aber mit fortschreitender Krankheit wird immer deutlicher, dass die Konstruktion des Briefwechsels mit der Idee der Reinkarnation verknüpft ist. Die Autorin geht von einer „kosmischen Verbindung der Seelen“ aus (vgl. S. 93), bei der die Seele verschiedene irdische Leben durchläuft und dabei die zentrale Aufgabe habe, das zu lernen (vgl. S. 111), was sie sich vorgenommen habe – was immer hier gemeint sein mag, wurde aus dem Buch nicht ersichtlich.
Die Idee eines Schöpfergottes kommt in einer handlich gekürzten Form vor, allerdings nicht im direkten Dialog und bleibt in seiner Bedeutung im Hintergrund. Gott nimmt in der Konstruktion eine unbeteiligte Rolle ein, die ausschließlich auf das Leben beschränkt ist. Die Protagonistin Lina wird von der Autorin in eine erklärende Rolle Gott gegenüber gebracht, da Gott als überirdisches Wesen Details des irdischen Lebens aus Sicht von Lina nicht kennen kann. (vgl. z.B. S. 110). Da die Autorin Gott hierauf nicht antworten lässt, ergibt sich kein Dialog.
Der Tod hingegen wird von Anfang an als Kontaktperson eingeführt. Zwar scheint er anfänglich etwas zur Übertreibung zu neigen (z.B. bedankt er sich überschwänglich, dass Lina die erste sei, die sich binnen „einer Billionen von Jahren“ an ihn als Experten wende, vgl. S. 11) und das philosophische Konzept setzt sich aus einer Mischung verschiedener religiöser Strömungen zusammen, z.B. Ansätze des Hinduismus oder Ying und Yang (vgl. S. 52), was sich zuweilen weit hergeholt und manchmal nicht ganz schlüssig liest.
Dem Tod als Ansprechpartner kommt die zentrale Rolle als Sterbebegleiter zu, der den Übergang des einen Zustands „Lebens“ zum nächsten – wie auch immer dies aussehen mag, wird offen gehalten- begleitet. Dabei ist die Rolle nicht ganz konsequent konstruiert. Zu Beginn lesen sich die Emails vom Tod sachlich und förmlich. Der Tod stellt sich als ein Wesen vor, das nicht imstande sei, Mitleid oder Empathie zu empfinden. Mehrmals erklärt er sich als Beobachter, der nicht imstande sei, menschliche Details des Lebens zu verstehen, da er nicht am Leben sei. Im weiteren Verlauf aber geht er zuweilen sehr einfühlsam auf Linas jeweilige Sterbephase ein. Durch seine empathischen Perspektivenwechsel in die begleitenden Personen ermöglicht er Lina, diese und deren zuweilen unverständliches Verhalten besser zu verstehen und mit ihren Reaktionen umzugehen.
Der Gewinn beim Lesen dieses Mailwechsels besteht aus meiner Sicht nicht im Verständnis der verschiedenen religiösen Konstruktion, die darauf abzielen, Spannungen aufzulösen, sondern im Vorstellen der verschiedenen Phasen der Auseinandersetzung mit dem Sterben an sich. Die Leser*in wird in den Verlauf des Sterbeprozess hineingenommen und wird Zeuge, wie Linas Leben immer mehr an Selbstverständlichkeiten einbüßt. In dem Maße, wie Linas Lebenskraft schwindet, kommen Fragen auf, die ungewöhnlich sind und bei Angehörigen und Freunden Reaktionen hervorrufen, die gut durchdacht und kommentiert werden. Hier stellt die Autorin professionelles Wissen über den verschiedenen Umgang und Strategien mit dem Thema Sterben vor.
Die Autorin lässt den Tod nach der anfänglich irritierenden Einführung stellvertretend als Beratungsexperten erscheinen, der aufgrund guter Beratung Linas Vertrauen gewinnt und auf den sie zuletzt wartet und hofft.
Für einen Erwachsenen, der einen Angehörigen nach einer langen Krankheit verloren hat, kann die Lektüre des Buches hilfreich sein, um rückwirkend manche Situationen besser zu verstehen. Auch für einen jungen Menschen (ab 16 Jahre), der sich in Linas Situation befindet, könnte das Buch hilfreich sein, um sich und die nächstbetroffenenen Angehörige und Freunde besser zu verstehen. Der Mailwechsel im vorliegenden Buch könnte auch für Auszubildende in Pflegeberufen interessant sein, da die Erlebenswelt der sterbenden Protagonistin Lina umfangreich dargestellt wurde, was sich für einen Perspektivwechsel eignet.

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Diese Rezension wurde verfasst von ubr; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 15.03.2019