Ein reiner Schrei

Autor*in
Dowd, Siobhan
ISBN
978-3-551-58158-7
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
317
Verlag
Carlsen
Gattung
Krimi
Ort
Hamburg
Jahr
2006
Lesealter
16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Fachliteratur
Preis
15,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Seit dem Tod der Mutter muss die 14-jährige Michelle Talent allein mit allen Problemen fertig werden: Sorge um die beiden jüngeren Geschwister, ungewollte Schwangerschaft und Geburt... Der Vater will sein Leben Gott widmen.

Beurteilungstext

Der frühe Tod der Mutter verändert das Leben der Familie Talent. Der Vater wird “ungeheuer fromm”, gibt seinen Job auf, um in der größeren Stadt Geld für gute Zwecke zu sammeln, vertrinkt aber einen Großteil davon. Er herrscht zunächst mit archaischer Strenge über seine Kinder, lässt sie Steine vom Acker sammeln, verdammt den Fernseher als Teufelszeug, verschwindet dann aber immer häufiger zu Sauftouren und überlässt seiner 14-jährigen Tochter die Sorge für den Haushalt und die beiden Geschwister im Grundschulalter. Michelle, genannt Shell, sucht Trost und Halt in der Kirche, kann aber nicht mehr glauben. “Vor Shells geistigem Auge stieg Jesus vom Kreuz und ging in die nächste Bar und verschwand ganz und gar aus Shells Leben” (S.13). Das ändert sich, als ein neuer junger Pater auch von Gottes Liebe predigt und verständnisvoll mit ihr spricht. Sie ist sicher: “Jesus Christus war in Gestalt von Pater Rose auf die Erde zurückgekehrt” S. 90). Der Pater spürt die Not des Mädchens und will das Sozialamt einschalten; doch man gibt ihm zu verstehen, dass so etwas auf dem Lande nicht nötig sei, dass sein Bemühen um Michelle als unschicklich empfunden werde. In dem Ort kümmert sich aber niemand um die sich selbst überlassenen, die Schule schwänzenden drei Kinder. Keiner scheint zu sehen, dass Shell nach einer kurzen Affaire mit Declan Ronan schwanger ist. Alle versagen oder schließen die Augen vor dem Leid: Kirche, Schule, Vater, Nachbarn. Die einzige Freundin der Mutter ist krank; der Pater in einer Glaubenskrise. Shell ist allein. Als die Wehen beginnen, sind die einzigen Helfer ein Körperbuch und die Geschwister, der kleine Bruder hatte schon einmal bei der Geburt eines Kalbes zugesehen. Das Verhalten einiger Mitmenschen ändert sich erst, als Shell angeklagt wird, das Baby umgebracht zu haben. Ihr Vater nimmt die Schuld auf sich, Pater Rose tritt dem verbohrten Kriminalkommissar beherzt entgegen und hilft bei der Aufklärung.
Die Geschichte spielt in Südirland um 1984/85. die erzählte Zeit imfasst ein Jahr. Die drei Teile des Buches weisen auf die Jahreszeiten hin: Frühling, Herbst, Winter. Der Sommer ist ausgespart, die Zeit der sexuellen Begegnung mit Declan Ronan. Diese Phase ist letzlich für Shell und ihre Entwicklung nicht von Bedeutung; nur auf zwei Seiten wird ihre Spielerei im Kornfeld, die eher wie eine Balgerei wirkt, beschrieben. Größeren Raum nimmt dagegen die Darstellung des Geburtsvorgangs ein, detailliert und von schonungsloser Genauigkeit werden Schmerzen und hilflose Aktionen der Geschwister beschrieben. Deshalb ist die Frage nach dem Lesealter gut zu überlegen und von der individuellen Reife des Lesers abhängig zu machen.
Die 15- bis 16-jährige Hauptperson, aus deren Perspektive der Roman erzählt wird, weiß über sich und ihren Körper weniger, als man bei einem jungen Mädchen im Jahre 1984 vermuten könnte. Sie wirkt zuweilen weltfern und naiv, dabei ist sie phantasievoll und umsichtig in Bezug auf ihren Vater und die Geschwister. Die verstorbene Mutter vermisst sie schmerzlich, von deren Religiosität sie stark geprägt ist. Sie hat Visionen von der Mutter , von sich und dem Pater (mit dem sie Geschichten der Bibel nacherlebt als Jesus und Magdalena). So ist das Auffallende an dem Buch die sprachliche Gestaltung, das Überwiegen von überraschenden Bildern, Metaphern und Vergleichen aus dem religiösen Bereich, neben sehr poetischen Wendungen und Zitaten aus Ulysses von J. Joyce. Damit wird auf eine allgemeingültige Dimension des geschilderten Einzelschicksals hingewiesen. Das Buch endet positiv, schildert jugendliche Lust am Leben, macht Mut.
Insgesamt handelt es sich um ein spannendes Buch, vor allem mit dem dritten Teil, dem Kriminalfall. Es rührt an und stimmt nachdenklich. Es fordert einen reiferen Leser, würde sich gut eignen für einen fächerübergreifenden Unterricht in der Schule, angesprochen sind die Bereiche Religion, Biologie, Deutsch.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Petra.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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