Ein Flüstern im Wind

Autor*in
Howard, Greg
ISBN
978-3-423-64072-5
Übersetzer*in
Schäfer, Beate
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
304
Verlag
dtv
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
München
Jahr
2020
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
14,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Als Riley zehn Jahre alt ist, stirbt seine Mutter an Krebs. Er ist traumatisiert, verdrängt ihren Tod und flüchtet sich in die Vorstellung, seine Mutter sei entführt worden. Nachdem „die Polizei“ sie nicht finden kann, macht er sich zusammen mit seinem Hund und Freunden auf die Suche. Im nahegelegenen Wald, bei den „Flüsterern“, von denen seine Mutter früher erzählt hat, hofft er sie zu finden.

Beurteilungstext

Gut, dass die Inhaltsangabe auf dem Bucheinband nicht den ganzen Hintergrund der Geschichte verrät. Man könnte auf die Idee kommen, dass man sich beim Lesen nicht unbedingt mit all den Problemen des kleinen Jungen belasten muss. Und das wäre sehr schade. Denn der Autor hat es verstanden, die realen Erlebnisse und die, die der junge Riley in seiner Fantasie erlebt, meisterhaft in drei Erzählstränge zu verweben. Wer nicht als erstes das Nachwort gelesen hat, darf also davon ausgehen, dass Rileys Mutter auf unerklärliche Weise verschwunden ist. Der Autor lässt den elfjährigen Jungen selbst erzählen und die Lesenden in seine Erlebniswelten mitnehmen. Da ist die Geschichte der kleinen blauen „Flüsterer“, die im Wald leben und den Menschen Wünsche erfüllen können. Diese hat ihm die Mutter oft erzählt, und auch im Dorf ist diese Geschichte überliefert. Diese Wesen versuchen sogar Kontakt zu Riley aufzunehmen, sie klopfen nachts an sein Fenster und er spürt sie sogar, wenn sie sein Ohr streifen. Dann sind da die regelmäßigen „Verhöre“, zu denen der Junge „vorgeladen“ wird. Riley glaubt, der „dicke Kripo-Glatzkopf“ hätte ihn im Verdacht, weil er immer die gleichen Fragen stellt. Dabei sollte er doch seine Mutter suchen. So weiß man lange nicht, ob man sich in einer Märchengeschichte oder in einem Krimi befindet. Und dann ist da noch der ganz reale Alltag, in dem sich Riley ganz allein gelassen fühlt. Sein Vater zeigt keine Gefühle oder Anteilnahme mehr, der 14jährige Bruder ist unfreundlich, nur bei Tucker, dem Familienhund, findet er emotionale Anhänglichkeit und „Verständnis“. Sehr belastend für alle ist, dass Riley zum Bettnässer geworden ist, was auch ausschließt, dass er mal wieder bei Freunden übernachten kann. Und dann macht sich die beginnende Pubertät bemerkbar. Und die scheint bei ihm etwas anders zu verlaufen als bei seinen Altersgenossen. Er interessiert sich nicht, wie sie, für den Busen mancher Mädchen. Auch findet er den Gedanken eklig, ein Mädchen zu küssen. Er findet die Sommersprossen auf der Nase von Dylan, dem kräftigen Bauernjungen aus der Nachbarschaft, viel faszinierender. Und das Erlebnis, als er einmal von einem Jungen geküsst worden war, beschert ihm plötzlich böse Gewissensbisse: Eine besonders fromme „Schwester“ in der bigotten Gemeinde, der seine Familie angehört, macht Bemerkungen über sein Anderssein und vermittelt ihm damit, am Tod seiner Mutter schuldig zu sein. All diese Erlebnisse und die Unfähigkeit der „Polizei“, seine Mutter zu finden, lassen Riley nun selbst aktiv werden. Zusammen mit Tucker und seinem treuen Freund Gary zieht er heimlich nachts in den Wald der „Flüsterer“. Nach diesem recht gefährlichen Abenteuer findet die Geschichte endlich zur Wahrheit und zum guten Ende für Riley. Es ist unglaublich, wie viele ernste Themen der Autor in diese Geschichte gepackt und mit wie viel Poesie, Humor und Ironie sie dennoch von Riley erzählt wird. Seine Sprache ist voll Zartgefühl, wenn er den Duft des Geißblatts beschreibt, der vom Wald her weht, und man hat das wogende Maisfeld vor Augen, das der Junge und seine Mutter als Chor empfunden und „dirigiert“ haben. Dann kommt wieder das „Verhör“ beim Polizisten, das Riley so umwerfend witzig und ironisch schildert. Er vergleicht die Methoden von „Kripo-Glatzkopf“ mit denen der Fernseh-Kommissare und kommt zu vernichtenden Ergebnissen. Und dazwischen sind dann die kurzen, traurigen Kapitel des Alltags, denen der Junge mit seiner ausufernden Fantasie zu entrinnen versucht. Nach dem „happy end“ der Geschichte findet man im Nachwort die Erklärung für diese spannende und so authentisch wirkende Erzählung: Der Autor selbst hat als fünfjähriges Kind den Tod der Mutter erlebt und zusammen mit seinem Bruder verkraften müssen. So dürfte er viel Autobiografisches eingearbeitet haben. Das Buch ist für Kinder ab elf Jahren und für Erwachsene sehr zu empfehlen. Dabei ist es unerheblich, ob ein selbst erlebter Todesfall zu verarbeiten ist. Wichtigste Erkenntnis dieser Lektüre ist, das traumatische Erlebnis beim Verlust eines geliebten Menschen ernst zu nehmen und vor allem den betroffenen Kindern alle Aufmerksamkeit zu schenken.

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Diese Rezension wurde verfasst von gem.
Veröffentlicht am 06.06.2022

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