Dolores, Närrin von Kastilien

Autor*in
Elpers, No
ISBN
978-3-499-21515-5
Übersetzer*in
Pressler, Mirjam
Ori. Sprache
Niederländisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
287
Verlag
Rowohlt
Gattung
Taschenbuch
Ort
Hamburg
Jahr
2009
Lesealter
10-11 Jahre14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Freizeitlektüre
Preis
12,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Spanien, 15. Jahrhundert. Dolores ist die zwergenwüchsige Tochter eines armen Pächters. Dafür hat sie einen scharfen Verstand und die Begabung, Schwächen anderer schnell zu erkennen. So wird sie von ihrem Vater an den Hof von König Ferdinand und der religiös fanatischen Königin Isabella verkauft, "als Geschenk" für die gleichaltrige Prinzessin Johanna. Sie erhält eine gute Erziehung, darf sagen, was ihr durch den Kopf geht - aber kann ihre Familie nie vergessen und ertrinkt mit 16 Jahren

Beurteilungstext

Das kurze Leben der Hofnärrin Dolores ist in eine Rahmenhandlung eingebettet: Man schreibt September des Jahres 1496. Dolores steht an Deck eines sinkenden Schiffes, getrennt von der gleichaltrigen Prinzessin Johanna und der maurischen Zofe Meryem, die sich auf einem zweiten Boot befinden. Dolores soll sich mit einem Sprung ins Wasser retten und weiß doch, dass das ihr Ende wäre: Sie kann nicht schwimmen.
Der Rückblick beginnt: In ihre arme Familie wird sie wie ein seltsames Fabelwesen hineingeboren, nach außen nicht nur durch ihre Wachstumsstörung, sondern auch durch blondes Haar und helle Augen auffallend. Als Närrin, als "kluge Krachmacherin", wird sie die scharfe Beobachterin am Hofe, begleitet den Hofstaat bei seinen Wanderungen zu verschiedenen Schlössern in Jaén, Toledo und schließlich Granada, wo sie Zeugin der Eroberung der Alhambra wird. Zugleich beginnt die Judenverfolgung, von Isabella von Kastilien angeordnet. Ein nachhaltig grausames Erlebnis ist die erste Judenverbrennung, der noch viele weitere folgen sollen, und aufgrund derer sich Prinzessin Johanna von ihrer Mutter distanziert. Johanna spricht von einem Autodafé, einer Glaubenstat, die zur Verurteilung zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Die Inquisition hat begonnen.
Dolores erkennt das bigotte Schubladendenken des religiösen Fanatismus, sowohl politisch als auch in ihrem privaten Umfeld: Ihre Freundin Meryhem muss sich wie eine Haremsdame anziehen, ist in den Augen der Königin eine Muslimin, muss den männlichen Gästen vortanzen und ihnen danach zu Willen sein. All das empört Dolores. Aber sie versteht auch, dass ihre Scharfzüngigkeit innerhalb der Königsfamilie gewissen Grenzen unterworfen ist. Die Funktion einer Hofnärrin ist ihr klar: Sie darf und soll unter dem Deckmäntelchen des Humorigen nach außen hin sagen, was nicht mal der König wagt, je frecher, desto besser. Aber wenn es um den religiösen Glauben der Königin geht, ist der Spaß vorbei.
Bei all dem ist die kleine Hofnärrin auch die innige Freundin von Prinzessin Johanna, und sie beide sind junge Mädchen mit Sehnsucht nach Liebe. Auch hier ist Dolores' Schicksal das traurige Pendant zu Johannas: Sie sehnt sich nach dem jungen Soldaten Tomaso - eine Sehnsucht, die sich nie erfüllen wird. Prinzessin Johanna dagegen wird mit Herzog Philipp, dem siebzehnjährigen Sohn von Kaiser Maximilian von Österreich, verlobt und in einem symbolischen Akt mit ihm verheiratet. Was Prinzessin Johanna im Zusammenhang mit ihrer Verlobung von der Liebe weiß oder besser nicht weiß, bietet für Dolores mal wieder die perfekte Plattform, närrisch auf die schlüpfrige Seite der Liebe einzugehen, zu schockieren, zu provozieren und zugleich aufzuklären.
Mit ihrer Vermählung ist Johanna erwachsen und blickt freudig ihrer gemeinsamen Zukunft mit dem jungen Herzog entgegen. Dolores jedoch bleibt dieses Erwachsenwerden auf mehreren Ebenen versagt: In Zentimetern wird sie nicht größer, als Frau erwartet sie kein Partner, als Hofnärrin hat sie bis zu ihrem Tod nur die Aufgabe, ein lebender Zerrspiegel der Wahrheit zu sein.
Dass die Prinzessin sie und die maurischen Zofen mit nach Flandern nehmen will, wo Philipp auf sie wartet, wird für Dolores zum Verhängnis und macht zur Gewissheit, was sie immer geahnt hat. Sie wird ihre Familie nie wiedersehen, die einzigen Menschen, die sie als Mensch Dolores und nicht als Närrin kennen. Einige Briefe hat sie ihnen in das kleine Pächterhaus geschrieben, aber niemals eine Antwort erhalten. Dennoch kommt ihr das weite Meer wie eine Allegorie auf ihre Mutter vor, die sie noch immer zärtlich liebt, aber schon seit sechs Jahren nicht mehr gesehen hat.
Für Dolores wird die Reise nach Flandern eine Reise ohne Rückkehr: Vor der Küste geht das Schiff, auf dem sie sich befindet, unter. Hier wird die Rahmenhandlung wieder aufgenommen: Dolores springt von dem sinkenden Schiff, ertrinkt und wird eine kleine schwerelose Meerjungfrau, losgelöst von ihrem Körper und ihrer schweren Aufgabe als Hofnärrin, die sie so meisterhaft und unter Geheimhaltung ihrer eigenen verletzlichen Seele bewältigt hat.
Der historische Jugendroman ist abwechselnd in auktorialer und Ich-Erzählhaltung geschrieben. Das erlaubt einerseits einen sehr emotionalen Zugang, zum anderen aber auch die Vermittlung historischen Backgrounds. U. a. ist auch von einem gewissen Kolumbus die Rede.
Ein zusätzliches Plus ist die Übersetzung von Mirjam Pressler, die für diesen heiter-schwermütigen Roman mit sorgfältig präzisen und zugleich schlichten Sätzen eine adäquate Sprache gefunden hat.

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Diese Rezension wurde verfasst von krä.
Veröffentlicht am 18.09.2023