Die Suche nach Paulie Fink

Autor*in
Benjamin, Ali
ISBN
978-3-446-26949-1
Übersetzer*in
Komina, Jessika
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
352
Verlag
Hanser
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
München/Wien
Jahr
2021
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiKlassenlektüre
Preis
18,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Als Caitlyn nach einem Umzug ihre neue Schule betritt, fühlt sie sich nicht gerade willkommen in der siebten Klasse. Die Mitschüler interessiert viel mehr, wo denn der von allen bewunderte Paulie, der mit ungewöhnlichen Aktionen Lehrer und Schüler begeisterte, urplötzlich abgeblieben ist. Ein würdiger Ersatz soll für ihn gefunden werden. Caitlyn wird bei diesem Wettbewerb zur Jurorin gewählt. Und erfährt so immer mehr über den ihr gänzlich unbekannten Paulie, aber auch über sich selbst.

Beurteilungstext

Die Geschichte startet eher simpel. Caitlyn ist mit ihrer alleinerziehenden Mutter nach Mitchell, Vermont, quasi mitten ins Nirgendwo gezogen. Ihr erster Tag in der neuen Schule unterstreicht ihre derzeit getrübte Stimmung: Sie hat das Gefühl, kaum beachtet zu werden. Alle fragen nur, wo denn Paulie abgeblieben sei. Was an dem Schüler, der plötzlich nicht mehr in der Schule erscheint, so besonders, ja geradezu legendär sein soll, erfährt Caitlyn erst nach und nach. Obwohl sie ihn nie gesehen hat, wird ihr aufgetragen, einen Wettbewerb unter den Schülern leiten, in dem so jemand wie ein zweiter Paulie gefunden werden soll.
Der Ablauf der Geschehnisse, der aus der Ich-Perspektive Caitlyns und eingeschobenen "Interviews" mit den Mitschülern erzählt wird, verdichtet sich allmählich und wird tiefgründiger. Nicht allein, dass man sich als Leser zunehmend fragt, ob Paulie, der von den Mitschülern fast wie ein Gott verehrt wird, tatsächlich oder eben doch nur als Phantom existiert. Auch die Besonderheit der zunächst als ziemlich marode beschriebenen Schule erschließt sich erst sukzessive. „Non scholae sed vitae“ (was im Text nicht explizit vorkommt) wird hier praktiziert. Keine sture Wissensvermittlung, sondern praktisches Lernen; etwa bei der Haltung einer Ziegenherde. Eine Reihe von Schulfächern wird "Menschheitskunde" genannt. Es ist eine Mischung aus Geschichte, Mythologie, Philosophie und Literatur. Wenn es um Grundfragen des menschlichen Verhaltens und Zusammenlebens geht, werden dabei zwar die Griechen zitiert mit philosophischen Begriffen wie „Kleos“, „Pharmakos“ oder „Katharsis“, aber jeweils mit verständlicher Erklärung und vor allem unmittelbarem Gegenwartsbezug. Derlei Themen sind stets stimmig in den Handlungsablauf eingefügt. Für Caitlyn ergeben sich daraus viele neue Erfahrungen und Selbsterkenntnisse. Sie erlebt die Klasse als eine Gemeinschaft, in der sie einen wichtigen Platz einnimmt; es ist eine Gruppe ganz unterschiedlicher Individuen, bei der letztlich aber alle füreinander da sind. So gelingt es sogar, endlich die Mannschaft einer Nachbarschule, in der nahezu ausschließlich Kinder reicher Familien unter optimalen Bedingungen elitär erzogen werden, im Fußballduell zu besiegen.
Der „echte“ Paulie, der in diesem Zusammenhang plötzlich wieder präsent ist, macht auf Caitlyn weit weniger Eindruck als der „erzählte“. Eine wichtige Erkenntnis für sie, nämlich dass viele „Tatsachen“ zumeist ganz anders und zumeist mehrschichtiger sind als geschildert.
„Die Suche nach Paulie Fink“ ist eigentlich die Suche der jungen Protagonistin Caitlyn nach sich selbst, nach ihrer Vergangenheit, ihrem Stand in der sie jetzt umgebenden Gruppe und nach ihren eigenen Wertmaßstäben und ihrem Weltverständnis. Ein Kerngedanke kommt dabei immer wieder zum Tragen: „Selbst wenn wir etwas noch so sicher zu wissen glauben – wir könnten uns irren.“ (Aus "Anmerkung der Autorin", S.248). Dabei wird Bezug genommen auf das platonische Höhlengleichnis: Jemand, der nichts anderes als das Leben in einer Höhle gewohnt ist, wird zwangsläufig die Realität außerhalb nur als Schatten wahrnehmen können.
Das Buch bietet bei allem Tiefgang eine unterhaltsam lockere Lektüre für Leserinnen und Leser ab 10 Jahren; es vermittelt grundlegende Werte des menschlichen Daseins und regt unzweifelhaft zum Nachdenken und Hinterfragen an.

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Diese Rezension wurde verfasst von Gerd Klingeberg; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 13.08.2022