Die Schachnovelle

Autor*in
Zweig, Stefan
ISBN
978-3-86873-965-7
Übersetzer*in
Kootz, Anja
Ori. Sprache
Französisch
Illustrator*in
Humeau, Thomas
Seitenanzahl
120
Verlag
Knesebeck
Gattung
Buch (gebunden)Comic
Ort
München
Jahr
2016
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
22,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Teaser

Auf einem Passagierdampfer zwischen New York und Buenos Aires treffen zufällig zwei geniale Schachspieler aufeinander: der wortkarge deutsche Schachweltmeister Mirko Czentovic und der mysteriöse Dr. B.
Stefan Zweigs klassische Novelle über die Grenzen, Abwege und Möglichkeiten des menschlichen Verstandes wird von Thomas Humeau in eindrucksvollen, farbstarken Bildern adaptiert, die den Leser eine meisterhafte Erzählung der Weltliteratur neu erleben lassen.

Beurteilungstext

Eines vorab: Die graphische Adaption der weltliterarischen Vorlage ist durchaus geglückt. Thomas Humeau ist es über weite Strecken gelungen, Zweigs Vorlage ansprechend und mit ästhetischem Mehrwert in eine sequenzielle Bilderzählung umzusetzen. Dabei bleibt der Kern des Plots – das Schachduell zwischen einem ehemaligen Isolations-Häftling der Nazis und einem bäurischen-stumpfen Emporkömmling aus der südslawischen Provinz – auch unangetastet und folgt im Wesentlichen dem Original. Die abstrahierten Zeichnungen in sparsamen Farbkontrasten (in Blau- oder Rottönen) sind v.a. in den Szenen der Gefangenschaft des Dr. B. nahezu genial: In surrealistischen Bildkompositionen sind die Seelenzustände eines Menschen in Isolationshaft adäquat umgesetzt. Auch die sparsame Verwendung des Textes ist als Pluspunkt zu werten: Oft braucht der Comic den Text gar nicht, da die Bilder stark genug sind. Überhaupt beherrscht Humeau alle Facetten seines Handwerks: Panelübergänge, Bild-Text-Beziehungen und Bildfolgen zeugen von Meisterhaftigkeit.

Minuspunkte gibt es allerdings für die Rahmenhandlung. Während in Zweigs Original die Geschichte über einen Ich-Erzähler vermittelt wird, der während der Überfahrt zufälliger Beobachter der Affäre gewesen sei, erfindet Thomas Humeau eine weitere Figur: ausgerechnet die Tochter des Kapitäns muss zu Beginn des graphischen Romans ihre Suite räumen, um für den Schachweltmeister Mirko Czentovic Platz zu machen. Aus gekränktem Stolz fordert sie diesen zum Duell, in welches sich dann später Dr. B. einmischt und ihren Platz am Schachtisch einnimmt. In der Folge entwickelt sich eine platonische Liebesbeziehung zwischen Dr. B. und dem Töchterlein, die auch durch das blinde Motiv einer weiße Eule (die ständig über ihre Köpfe segeln muss) nicht an Sinnhaftigkeit gewinnt.

Misslungen ist dieser literarische Kniff von Humeau nicht allein deshalb, weil diese Beziehung notwendigerweise ins Leere laufen muss, sondern v.a. auch, weil sie die Figur des Mirko Czentovic schwächt. Bei Humeau wird Czentovic zu einem arroganten Bohémien, der sich allen und jedem überlegen dünkt, ohne ein einziges Bonmot zum Besten zu geben. Im Original war Czentovic ein einfältiger Bauernjunge, der durch eine Laune der Natur mit einem Talent für das Schachspiel ausgezeichnet worden war und in stoischer Manier seine Figuren wie einen Pflugschar durch das Brett zog. Durch die Umdeutung Czentovics zu einem Dandy geht ein genialer Kontrast Zweigs leider verloren, nämlich dass das Schachspiel alle Pole des menschlichen Geistes auslotet: Es kann einen Menschen vor dem Wahnsinn retten – oder ihn dort hineintreiben. Es kann aber auch in stoischem Kalkül als logisch-mechanischer Denksport betrieben werden.

Nichtsdestotrotz ist Thomas Humeaus Umsetzung lesenswert und reiht sich glücklicherweise nicht in die misslungenen und schlechten Adaptionen der Weltliteratur ein, die seit Jahren den Buchmarkt überschwemmen.

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Diese Rezension wurde verfasst von OWA; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 13.02.2018