Die Langerudkinder

Autor*in
Hamsun, Marie
ISBN
978-3-596-80863-2
Übersetzer*in
Angermann, SofieSandmeier, J.
Ori. Sprache
Norwegisch
Illustrator*in
Friedrichson, Sabine
Seitenanzahl
327
Verlag
FISCHER Schatzinsel
Gattung
Ort
Frankfurt
Jahr
2012
Lesealter
ab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
10,00 €
Bewertung
nicht empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Landleben in Norwegen Anfang des 19. Jahrhunderts: eine bäuerliche Familie mit vier Kindern, vier Kühen, einem kleinen Hof, einer Alm für den Sommer, auf die die Mutter mit dem Vieh und den Kindern zieht, Spiele mit Nachbarskindern, Erlebnisse in der Natur und im Haus, Leben im Sommer und im Winter, Schule, Indianerspiele, Arbeit in einem kleinen bäuerlichen Betrieb.

Beurteilungstext

Was kann den Verlag dazu bewogen haben, diese Bücher wieder aufzulegen und dann noch unter dem Slogan “Kinderbuchklassiker”? War es die “Neuausgabe”, die Herr Spreckelsen von der FAZ in seiner Reihe “Die Bücher mit dem blauen Band” 2008 als Hardcover herausgegeben hat? Sind es die einseitigen und wenig durchdachten Rezensionen und Erinnerungen auf wikipedia, die Marie Hamsuns Kinderbücher für “unpolitisch” erklären? Nach Angaben des Verlags handelt es sich um eine Übersetzung von 1950, ich vermute, sie ist deutlich älter, ca. 1928. Diese veraltete Übersetzung macht es nicht nur Kindern von heute unnötig schwer, sich in diesem für sie doch recht fremden Milieu zurecht zu finden. Hier wäre eine neue Übersetzung, eine Überarbeitung mit Erklärungen für Kinder, ein Nachwort nicht nur für Erwachsene wichtig gewesen.

Ob in dieser Reihe auch Band 3 (""Ola geht in die Stadt” von 1929 erscheinen wird, weiß ich nicht. Das wäre schlimm für den Verlag, wenn die rassistischen Schilderungen, die Marie Hamsun in diesem Band von “Zigeunern” gibt und auf die hier schon ein Absatz hinweist (S.254), wieder gedruckt würden. Die letzte Ausgabe von diesem Band erschien unverändert 1983.

Auf vielen Lesereisen durch Deutschland - allein 1940 über 40 Stationen, organisiert von der Nordischen Gesellschaft in Lübeck (Quelle: P.O.Enquist, Hamsun, 1993) - überbrachte Marie Hamsun auch noch 1944 die Grüße ihres Mannes und Wünsche für den deutschen Sieg. Knut Hamsun , der Literaturnobelpreisträgers von 1920, inzwischen alt und fast taub, weitgehend isoliert auch innerhalb der zerfallenden Familie, hing seinen Träumen von einem deutschen Großreich, in dem Norwegen eine besondere Stellung einnehmen sollte, nach.
Marie Hamsun wurde nach dem Krieg wegen Landesverrat zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

Offenbar galt sie in Deutschland aber auch nach 1945 weiterhin als repräsentative Vertreterin einer befreundeten nordischen Nation, deren Kinderbild den Wunschvorstellungen vieler Deutscher entsprach.
Dabei ist ihr Kinderbild veraltet und sehr geschlechtsspezifisch: Die Jungen, 8 und 10 Jahre alt, dürfen alles, spannende Abenteuer erleben, das Vieh allein auf die Weide treiben, durch das Moor springen, eine Pfadfindertruppe gründen usw. Und wenn Ola, der Ältere einmal ein fremdes Mädchen trifft, ist das die Liebe seines Lebens, und er, ein eifriger Lerner von Katechismus und biblischen Geschichten, ist eifersüchtig auf seinen jüngeren draufgängerischen Bruder Einar.
Die beiden jüngeren Schwestern, immerhin 7 und 6 Jahre alt, werden dagegen ausgesprochen kindlich geschildert, sie spielen mit Puppen, dürfen beim Melken den Schwanz der Kühe hochhalten, brechen in Entzücken aus, wenn sie eine rote Schleife zum Geburtstag bekommen und setzen sich deutlich von den Indianerspielen der Jungen ab. Selbst als die 6jährige Martha durchsetzt, dass sie schon in die Schule gehen darf, weil es allein zuhause so langweilig ist, verbirgt sie in der Schule ihr Gesicht unter der Bank im Schoß der Schwester aus Angst vor der Lehrerin (S.184).
Dabei soll nicht unterschlagen werden, dass es lustige, spannende Erlebnisse der Langerud-Kinder gibt, die bis heute die romantischen Vorstellungen der Erwachsenen von norwegischer Natur und Kindheit nähren. Der Gegensatz Stadt - Land, der im 3. Band tragend wird, wenn Ola nach Stockholm geht, um einen höheren Schulabschluss machen zu können, wird schon angesprochen, wenn der Vetter Henry aus der Stadt immer wieder eine schlechte Figur macht, aufschneidet und sich unter Tränen kaum von Langerud trennen kann.
Mutter und Vater bleiben weitgehend im Hintergrund, mahnend, erziehend, versorgend - “Rahmbrote” sind offenbar die Spitze der Verwöhnung, aber was stellt sich ein Kind heute darunter vor?
Auch die Darstellung armer Menschen in diesen Geschichten erscheint heute fragwürdig. Inger, das arme Mädchen von der Nachbaralm, die keine Eltern hat, von der Pflegemutter schikaniert, die Flucht ergreift und unverhofft auf Langerud erscheint und aufgenommen wird, bis der Küster und seine Frau sie an Kindes Statt annehmen. Kein Problem mit der Bürokratie!
Der alte Birkenlars taucht wiederholt auf als jemand, um den sich die Langerud-Kinder kümmern, weil er ihnen leid tut. Er wohnt allein, ist sehr arm. Als er den Kindern in Form eines Märchens seine Lebensgeschichte und die seiner Mutter erzählt, bleibt ihre Reaktion sehr schwach, obwohl diese Geschichte von der Mutter, die sich selber die Hand abhackt, weil sie der Liebste hat sitzenlassen und die sich und ihr Kind auf der Alm versteckt, grauenhaft ist.
Als Figuren, die nicht zu den bei aller Einfachheit durch ihre Höfe abgesicherten Bauern und ihren Kindern gehören , fallen Gusta-Gudbrand, ihr Mann und ihr Kind Jon auf. Sie kommen als Erntehelfer auf die Alm und müssen alle drei auf einem Brett im Gang schlafen, das vorher nicht einmal für zwei Kinder gereicht hat. Doch die Langerud-Kinder lachen Gusta und ihren Sohn aus, als sie den dreijährigen Jon beobachten, der an der Brust seiner Mutter trinkt, obwohl diese ihnen erklärt, sie hätten eben weder Kuh noch Ziege im Stall. Diese Gusta hat “eine dunklere Haut”, kleidet sich nachlässig, aber richtet voller Energie ein Café neben der Kirche ein, um der Familie ein Einkommen zu verschaffen.
Was macht diese Bände in den Augen der Herausgeber zur “Weltliteratur für Kinder”? Dass der deutsche Staat während des dritten Reiches für diese Kinderbücher Extra Papierrationen bewilligte und sich sehr viele Rezensenten, auch in der JSW für diese Bücher begeisterten?

Nach meiner Meinung ist dieser Doppelband für Kinder von heute nicht mehr geeignet.
Die schwarz-weißen, zarten Zeichnungen von Sabine Friedrich greifen einzelne Textstellen geschickt auf, bringen aber keine neuen Informationen.

Hier irrt übrigens Aldo Keel in seinem Nachwort: Knut Hamsun wurde zwangsweise erst in ein Altersheim, dann in die Psychiatrie eingewiesen und mußte darum kämpfen, dass ihm der Prozess gemacht wurde, in dem er des Landesverrats für schuldig erklärt und zu einer hohen Geldstrafe verurteilt wurde. Nachzulesen in K.Hamsun: Auf überwachsenen Pfaden, dt.von E.Ihle, Bd. 5, S. 677-801 Sämtliche Romane und Erzählungen, List-Verlag, München 1958.

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Diese Rezension wurde verfasst von uwo.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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