Die Kinder der Elefantenhüter

Autor*in
Hoeg, Peter
ISBN
978-3-446-23552-6
Übersetzer*in
Urban-Halle, Peter
Ori. Sprache
Dänisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
481
Verlag
Hanser
Gattung
Erzählung/Roman
Ort
München
Jahr
2010
Lesealter
14-15 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
21,90 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Der 14-jährige Ich-Erzähler Peter beschreibt die fantastisch-abenteuerliche Geschichte seiner Familie. Die Eltern, er Pastor, sie Organistin, haben seltene Hobbies, die sie perfekt beherrschen. Eines Tages verschwinden sie und die Jagd nach dem Abenteuer beginnt. Peter und seine Schwester Tilte überlisten alle Menschen und Hindernisse, die sich ihnen in den Weg stellen, retten die Weltreligionen vor einem Desaster und finden am Schluss ihre große Liebe(n).

Beurteilungstext

So abstrus sich die Inhaltsangabe anhört, so ist auch der Roman. Abenteuer auf Abenteuer folgen aufeinander, dennoch passiert nicht halb soviel, wie es die Dicke des Bandes erwarten ließe: Jeder Gedanke Peters gebiert eine Flut an Assoziationen, jeder Fortschritt im Geschehen erzeugt einen Gedankensturm. So liegt diesem umfänglichen Roman eine zwar nahezu unübersichtliche Handlung (was aber eher der Vielzahl der Personen mit ihren befremdlichen Namen zu danken ist) zu Grunde. Das Eigentliche aber ist die Gedankenwelt des Jungen, die unentwegt um die Schwester und die verschwundenen Eltern kreist. Die Schwester vermag, jede Person in ihrem Innersten zu treffen, sie zu schockieren oder zu bekehren, Peter selbst hat nicht nur in seinem Kopf blitzschnelle Assoziationen, er wendet sie auch im Geschehen an. In brenzligen Situationen kommt er zu merkwürdigsten Reaktionen, alle Beteiligten verblüfft er unentwegt (inclusive Leser) und erreicht sein Ziel, auch ohne dass er vorher schon wusste, worin das bestehen könnte. Die Ausgefeimtesten aber sind die Eltern. Die Mutter ist Bastlerin, Tischlerin und Technikerin, unentwegt hat sie Apparate konstruiert, die mit Hilfe von Gesang in Gang gesetzt werden und nun plant sie mit ihrem - auf anderem Gebiet - nicht minder begabten Mann DEN großen Coup. Er gelingt fast, nur kommt ihr ein Anderer beinahe zuvor. Dem wiederum sind ihre Kinder auf der Spur, stellen ihn und zwingen dann die Mutter, auf ihren Coup zu verzichten.
Es gibt auch noch einen größeren Bruder, dessen King-Kong-Kräfte im Zweifelsfalle eingesetzt werden können und auch weitere märchenhafte Fähigkeiten und Begabungen werden im Laufe der Handlung benötigt.
Der eigentliche Beruf der Eltern, ein bürgerliches Pastorenehepaar auf einer idyllischen Kattegattinsel, ist der Anlass, sich über die Bigotterie der Kirche und ihrer Anhänger zu amüsieren. Verlogenheit und Gottesglaube bilden die Folie, auf der das Geschehen sich abspielt. Beides steht nebeneinander, überdeckt sich und legt sich an bezeichnenden Stellen bloß. Das dänische Königshaus und ihre Attrapen bekommen ihr Fett weg und die ganzen Heldengeschichten von Superman bis Marlowe werden meisterhaft persifliert - der Held ist hier schließlich erst 14, übertrumpft aber allesamt souverän.
Die Gefühlswelt ist das eigentliche Metier des Autors, wenige können so genau in so wenigen Worten beschreiben, was in ihren Protagonisten vor sich geht. Peters Gefühl, eigentlich immer alleine geblieben zu sein, teilt sich zunehmend mit, umso stärker, je mehr er mit anderen Personen zusammen ist. Zu Grunde liegt dem die nicht nur plötzliche Abwesenheit der Eltern, sondern deren permanentes Bedürfnis, von den Kindern nicht behelligt werden zu wollen. Die bekommen ihr Reich, das der Erwachsenen sollen sie dafür respektieren. Bei den Kindern hat das aber zur Folge, dass sie sich ihr Reich - ihre besonderen Fähigkeiten - so extrem ausbauen, dass dieser Roman überhaupt erst möglich wurde. Sie halten zusammen wie Pech und Schwefel, verstehen sich wortlos und handeln beide spontan als Paar in der einen Richtung, die für sie nur möglich ist. Erst am Ende wird Peter klar, dass so etwas nur für Kinder gelten kann. Jetzt, wo sie alle Drei eine(n) Partner(in) fürs Leben gefunden haben, sind sie alleine, auf sich selbst gestellt. Und der 14-Jährige kann noch nicht sehen, dass seine Freundin die Rolle von Bruder und Schwester ausfüllen wird.

An die Leser stellt der Roman ziemliche Anforderungen, aber für Vielleser bietet er eine Fülle von spannenden Momenten und eine ebensolche Fülle von gedanklichen Herausforderungen, die alleine schon die Lektüre Wert sind. Und wer die ähnlich strukturierten Romane Ardaghs mag, liegt hier richtig.

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Diese Rezension wurde verfasst von cjh.
Veröffentlicht am 01.01.2010