Die glückliche Amsel

Autor*in
Moster, Stefan
ISBN
978-3-942640-11-4
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Faichney, Nadia
Seitenanzahl
34
Verlag
Monterosa
Gattung
BilderbuchBuch (gebunden)
Ort
Karlsruhe
Jahr
2019
Lesealter
8-9 Jahre10-11 Jahre12-13 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Vorlesen
Preis
39,80 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Eine Amsel und ein Kind. Beide von Schatten bedroht, die ständig um sie lauern. Die Amsel schafft es sich zu befreien. Schafft es das Kind auch?

Beurteilungstext

Das Bilderbuch wurde für therapeutische Zwecke ins Leben gerufen. Es soll helfen betroffenen Kindern eine Sprache zu verschaffen, die sich sonst nicht trauen über ihr Trauma zu berichten beziehungsweise nicht die richtigen Worte dafür finden. Es gelingt dem Autor und der Illustratorin mithilfe von geeigneten poetischen Texten und ausdrucksstarken Bildern ganz herausragend.
Mithilfe eines Sinnbilds, welches die Geschichte rahmt, wird sich dem sehr schwierigen Thema angenähert. Die Amsel wird auf der ersten Seite von einem Schatten bedroht, vor dem ein Kind sie noch zu warnen versucht, da es selber so einen Schatten kennt. Auf der letzten Seite kann der Vogel sich befreien und dem Schatten entkommen und wird von dem Kind als "glückliche Amsel" beschrieben. Hier wird auch deutlich, dass es dem Kind noch nicht gelungen ist, sich zu befreien. Es sich das aber wünscht. Gleichzeitig gibt dieses Sinnbild Hoffnung und Zuversicht darauf, dass es möglich ist, sich zu befreien, dem Schatten zu entfliehen und somit das Trauma zu bekämpfen.
Der Schatten steht im gesamten Buch sinnbildlich für das Trauma, welches durch eine Person ausgelöst wird, die Grenzen überschreitet und Dinge mit dem Kind tut, die es nicht will und die ihm wehtun.
Das Buch thematisiert durch verschiedene stilistische Mittel Gefühle und Gedanken, die Kinder in so einer Situation spüren. So wird die Ohnmacht des Körpers nach einem Übergriff, die Ohnmacht des Willens währenddessen sowie die physischen und psychischen Reaktionen des Körpers (Kopfweh, Bauchweh, Albträume) thematisiert. Auch der Zwiespalt, der in einem Kind entstehen kann, wenn es die Täter-Person kennt und eigentlich mag, aber in solch bestimmten Situationen eben hasst, wird beschrieben ("Es ist unheimlich, jemanden zu hassen, den man mag."). Zudem das Gefühl, dass sich das Kind aus Angst, dass keiner ihm glauben wird, sich keinem Erwachsenen anvertrauen kann. All diese erwähnten Aspekte führen dazu, dass sich ein Kind, welches sich in einer ähnlichen Situation befindet oder sich befunden hat, mit dem Protagonisten identifizieren kann. So fällt es dem Kind womöglich leichter seine Gefühle in Worte zu fassen und gemeinsam mit einer geschulten Person darüber zu sprechen.
Das Kind erlebt in diesem Buch kein Happy End, es findet noch keinen Ausweg und kann dem Schatten noch nicht entfliehen. Das am Anfang aufgegriffene Sinnbild der Amsel gibt aber trotzdem Hoffnung. Außerdem werden auf der letzten Seite Hilfsangebote und Notrufnummern aufgeführt, die einer betroffenen Person helfen können.
Die Illustrationen spiegeln viele wichtige Aspekte aus dem Text wieder und veranschaulichen die Dramatik durch farbenfrohe, gemalte Bilder. Diese Bilder sind immer großflächig und seitenfüllend, der Text kann sich hier problemlos eingliedern. Keiner der beiden steht konkret im Vordergrund, sie ergänzen sich perfekt. Der in den Texten beschriebene Schatten wird in den Bildern aufgegriffen und baut sich hier im Verlauf immer weiter aus bis es kein sich in das Bild drängender Schatten mehr ist, sondern ein ganzer schwarzer Schleier, der das Kind immer mehr einzuschließen droht und sich immer mehr in die farbenfroh dargestellte Kinderwelt drängt. Die Negativität wird stets durch kalte, dunkle Farben vermittelt. Auffällig ist, dass der Schatten keine konkrete Form hat, aber immer von einem gesichtslosen Mann ausgeht. Dass der Mann kein Gesicht hat, verdeutlicht, dass Täter nicht das eine Gesicht haben, sondern dass jeder noch so freundlich aussehender Mensch Täter sein kann. Das Machtgefälle zwischen Täter und Kind wird durch Proportionen gezeigt. Der Täter ist meist überdimensional groß dargestellt. Die Hilflosigkeit und Traurigkeit des Kindes wird durch die Mimik verdeutlicht und außerdem durch die stetige Darstellung des Kindes als einsame, immer isoliert wirkende Figur. Die Identifikation mit dem Kind wird dem Leser/der Leserin weiterhin durch das nicht eindeutig feststellbare Geschlecht vereinfacht.
Die Illustrationen sind vermutlich mit Kreidefarbe erstellt. Nur auf zwei Doppelseiten werden collagenartig einzelne Fragmente von Fotos gezeigt, die die Täterperson und die Tatorte zerstückelt darstellen.
Das erste Bild des Bilderbuches zeigt ein idyllisches, harmonisch und unberührt wirkendes Landschaftsbild, welches verdeutlicht, dass der Betrachter aus der Ferne nicht sieht, dass was schief läuft, sondern dass man immer genauer hinschauen muss. Ein Aufruf, der wichtig ist und durch das Buch hervorragend vermittelt wird.
Dieses Buch sollte von Kindern wirklich nur gemeinsam mit einem vertrauten, am besten psychotherapeutisch geschulten Erwachsenen betrachtet und gelesen werden. Außerdem sollte es nur Kindern an die Hand gegeben werden, die eine ähnliche Situation erlebt haben oder erleben. Es mit Kindern zu betrachten, die so etwas nie erlebt haben, ist aufgrund der emotionalen Schwere nicht empfehlenswert. Dieses Buch ist auf literarischer und illustratorischer Seite ein wichtiges Meisterwerk, aber auf gar keinen Fall im Bereich der Freizeitlektüre.

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Diese Rezension wurde verfasst von Leonie Bensing; Landesstelle: Thüringen.
Veröffentlicht am 04.03.2024