Die Geschichte von Francine R. Widerstand und Deportation April 1944- Juli 1945

Autor*in
Golzio, Boris
ISBN
978-3-96445-047-0
Übersetzer*in
Hahn, BarbaraFröhlich, KatjaHinz, Carsten
Ori. Sprache
Französisch
Illustrator*in
Golzio, Boris
Seitenanzahl
135
Verlag
Gattung
Buch (gebunden)Comic
Ort
Berlin
Jahr
2021
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Fachliteratur
Preis
24,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Die junge Französin Francine R. ist in der Résistance aktiv und wird im April 1944 verhaftet. Nach Verhören in Gestapo-Haft in Frankreich beginnt der ein Jahr dauernde Leidensweg in deutschen Konzentrationslagern, wo sie unter schwersten Bedingungen arbeiten muss, immer den Tod durch Folter, Entkräftung, Aushungern vor Augen.
Sie überlebt und berichtet von ihren Erfahrungen, die von dem Zeichner Boris Golzio Jahre nach ihrem Tod 2003 in diesem eindrucksvollen Comic-Album festgehalten wurden.

Beurteilungstext

Durch einen Anruf von Francine in den 90er Jahren, die wie sich herausstellt eine weitläufige Verwandte von Boris Golzio ist, kommen sie in Kontakt. Sie treffen sich mehrmals, u.a. in Lyon im Museum der Résistance, wo Francine regelmäßig in der politischen Bildungsarbeit mit Jugendlichen unterwegs ist. Golzio ist beeindruckt von ihrer freimütigen und direkten Art von ihren Erfahrungen als Widerstandkämpferin gegen die deutsche Besatzung und als KZ-Überlebende zu berichten und zu erzählen. Er nimmt ihre mündlichen Berichte auf, um sie als wertvolles Dokument für die Nachwelt zu erhalten.
Und so ist nach vielen Jahren der weiteren Auseinandersetzung mit diesem einzigartigen subjektiven Protokoll eines Lebens, gezeichnet von Mut, Angst, und einer besonderen Widerstandsfähigkeit (bzw. Resilienz) dieses in verwaschenen Graubrauntönen stimmig bebilderte und illustrierte Album entstanden. Gerahmt von seinen Begegnungen mit Francine und ihrem Tod am Ende, hält er die Stationen des Jahres ihrer Verhaftung und ihrer Inhaftierung vom 6. April 1944 bis zur Befreiung und den ersten Wochen danach im Sommer 1945 in 11 Kapiteln mit dem Stift fest. Es sind Momentaufnahmen und zugleich ist es eine Chronik der Ereignisse: Als LeserIn begleitet man Francine von ihrer Verhaftung, über die Verhöre in Roanne über den Transport in Viehwaggons nach Ravensbrück und später ins KZ Watenstedt-Leinde (heute ein Stadtteil von Salzgitter), wo sie als Zwangsarbeiterin in den Hermann-Göring-Werken (dem größten Staatskonzern der Nazis) in 12-Stunden-Schichten als Zwangsarbeiterin zur Rüstungsproduktion beitragen muss. Wir sehen sie auch im Lager, auf dem Appellplatz in Ravensbrück, wo die Gefangenen bei ihrer Ankunft stunden- und nächtelang ausharren mussten. Sie kommentiert ihre Beobachtungen z.B. in der Quarantäne nach der Ankunft: „Vergessen wir nicht, dass Ravensbrück ein Straflager der Nazis war, das schon länger bestanden hatte. Früher waren dort deutsche Frauen eingesperrt, die Zwangsarbeit leisten mussten… Wir sahen ihnen bei der Arbeit zu,…Sie trugen einen Wasserschlauch, immer auf der gleichen Schulter, und ich weiß nicht, wie lange, aber bestimmt einen Monat lang begossen sie die Steine. Die erste ganz vorn trug Stiefel, vielleicht, um weniger nass gespritzt zu werden, was weiß ich…. Oder sie mussten eine Walze durch die Straßen ziehen… Sie mussten sie zu dritt oder zu viert ziehen, aber eigentlich hätte man dafür zehn Frauen gebraucht.“ (S. 55/56)
Die Gefangenen sind, soweit sie nicht der Vernichtung oder Experimenten zugeführt wurden, billigstes Menschenmaterial für die faschistische Industrie und Rüstungsproduktion. Mehrfach betont Francine in ihren nüchternen Berichten, dass sie „gar nichts wussten. Wir schufteten wie die Tiere. Wir wussten nie, welcher Tag oder wie spät es war.“ Sie berichtet auch von der unfassbaren Grausamkeit der AufseherInnen: „Ein vielleicht 16jähriges junges Mädchen hatte im Lager einen Jungen aus ihrem Dorf getroffen und als sie gerade dabei war, ihm eine Nachricht zu schreiben, kam ein SS- oder Gestapo-Mann vorbei: „Es war entsetzlich! Sie stellten die Kleine unter eine Dusche, aus der eiskaltes Wasser kam, und hielten ihren Kopf unter Wasser. Als sie schon am Ersticken war, holten sie sie raus und steckten ihren Kopf in kochend heißes Wasser…Sie war schon mehr tot als lebendig…sie stellten sich mit ihren metallbeschlagenen Stiefeln auf ihren Bauch und zertrampelten ihr die Leber… Sie schrie und schrie! … Wie konnten Menschen nur so etwas tun?... (S. 71/72) – Aushalten kann man solche Passagen nur, weil Boris Golzio Distanz zum Geschehen hält in seinen Bildern – er zeigt den Stiefel, das fallende Mädchen, die Baracken von oben und durch das Fenster schemenhafte Gestalten. So vermeidet er Rührseligkeit und Überwältigung – auch die Gesichter bleiben mit wenigen Strichen gezeichnet weitgehend anonym.
Francine R. wäre nicht so eine außergewöhnliche Kämpferin und Überlebende, wenn sie nicht auch von den Sabotageakten berichten würde, die sie trotz Todesgefahr unternimmt: Sie erzählt auch von zwei Männern, die sie vor dem völligen Verhungern und der Verzweiflung retten- durch Zuwendung und Trost der eine und durch das Teilen des Brotes der andere. Als sie befreit wird, wiegt sie nur noch 33 Kilo!
Boris Golzio hat Francines Bericht, der in Frankreich hier und da als nicht glaubwürdig eingestuft wurde, sorgfältig recherchiert, forscht in Archiven und besucht die Gedenkstätten in Ravensbrück und Salzgitter und kommt zu dem Ergebnis, dass alles wahr ist, worüber sie berichtet. Dabei belässt er ihr ihre persönliche Erzählweise, die oft zögernd ist und ihre Erschütterung, aber auch die kleinen Hoffnungsschimmer, die Francine durch dieses Jahr tragen. Er korrigiert und erklärt, z.B. wenn Francine sich abfällig über die polnischen Häftlinge äußert. Er ordnet ihren Bericht ein durch erläuternde Texte, erkennbar immer an dem weiß auf schwarz gedruckten Text im Unterschied zu Francines Bericht in schwarz auf weiß.
So fügt er präzise Karten der Lager ein, ergänzt Daten und berichtet über das spätere Schicksal von Menschen, denen sie begegnet ist.
Golzio verwendet bis zum Tag der Befreiung dem 8. Mai 1945 ausschließlich diese Mischfarbe zwischen Grau und Braun. Hier zeigt er die Szene, wie Francine (gerettet in Schweden) sich ein königsblaues Kleid aussucht und zusammen mit zwei anderen mit rotem und weißem Kleid gemeinsam die Trikolore darstellt, und das sie bis zur Rückkehr nach Paris tragen wird: „Wir gaben eine kleine Vorführung, bei der wir die Marseillaise singen wollten, doch wir kriegten keinen Ton heraus. Wir haben nur geheult!“ (S. 123)
Ich möchte diese Rezension schließen mit einem Zitat, das dem Buch vorangestellt ist:
„Ich werde diesem Buch keine Schlussfolgerungen hinzufügen;
Ich werde mich bemühen, keinerlei Urteil zu füllen;
Ich lege lediglich die Fakten dar.
Mögen sie den Leser in gerechten Zorn versetzen!“
Denise Dufrounier

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Diese Rezension wurde verfasst von SRAn; Landesstelle: Hessen.
Veröffentlicht am 22.12.2021

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