Die Einsamkeit der Astronauten

Autor*in
Beuese, Stefan
ISBN
978-3-446-27592-8
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
224
Verlag
Hanser
Gattung
Buch (gebunden)DystopieErzählung/Roman
Ort
München/Wien
Jahr
2023
Lesealter
14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüre
Preis
18,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Was, wenn ein Konzern den Alltag von vielen Bewohnern einer Siedlung dominiert und alles regelt? Was, wenn eine Mitschülerin, die dagegen aufbegehrt, plötzlich spurlos verschwindet? Muss man dann als 15-Jähriger nicht nach ihr suchen, vor allem wenn man in sie verliebt ist? Doch ist das so einfach? Und wohin gerät man bei der Suche? Zu dem Mädchen oder zu sich selbst? Oder zu beiden?

Beurteilungstext

Stefan Beuses neuer Jugendroman beginnt als spannende Dystopie. Ein Großkonzern beherrscht eine Siedlung, regelt den Alltag, beeinflusst die Einwohner mit Werbesprüchen, die auch als Kalendersprüche durchgehen würden und kontrolliert über das tägliche Morgenfernsehen die Bewohner. Es scheint, als ob dieser Konzern sich selbstlos um das Wohl der Bevölkerung kümmert: Es gibt kostenlosen Kaffee für alle und man bekommt über den Gesundheitscheck individuelle Tabletten zugeteilt.
Jonah, der 15-jährige Protagonist, fühlt sich in diesem System als Looser. Er wird in der Schule gemobbt und zu Hause kaum wahrgenommen. Als eine neue Mitschülerin, die ebenfalls aus dem gewohnten Einerlei heraussticht, sich mit Jonah anfreundet, wird er wach und beginnt zu denken. Sie hinterfragt das System, fordert ihn auf, die Tabletten zu verweigern, keinen Kaffee mehr zu trinken und trifft sich mit ihm privat. Sie wollen den geheimnisvollen Wald, der die Siedlung begrenzt und dessen ebenfalls nicht durchschaubare Bewohner, die als Verrückte bezeichnet werden, untersuchen. Doch dann verschwindet sie spurlos und niemand will sie je gesehen haben. Auch die Schule kennt sie nicht.
Soweit ist es ein klassischer Anfang einer üblichen Dystopie und könnte auch so weitergeführt werden.
Doch der Autor wendet sich von dem üblichen Ritual ab und schlägt neue Wege ein. Klar, Jonah sucht das Mädchen Lia: in der Siedlung und im Wald. Dort stößt er auf einige Vertreter dieser sog. Verrückten und bleibt bei ihnen. Hier könnte eine Spur zu Lia zu finden sein.
Was eben noch eine klar strukturierte Form für eine Dystopie war, löst der Autor auf. Die Handlungen verweben sich ineinander, teilen nur Halbwissen mit und im Zentrum steht nicht mehr der Konzern und die allgegenwärtige Macht, sondern die Selbstfindung von Jonah. Der Wald und der See bekommen mystische Bedeutungen. Jonah begibt sich im Wald in eine Art Unterwelt, findet aber dort nicht Eurydike, sondern eine Mitschülerin, die ihn auch hier unten herablassend behandelt.
Traum, Realität oder Vorstellung und Einbildung verlaufen ineinander und als Leser*in bekommt man Schwierigkeiten alles noch auseinander zu halten.
Ist das ein Versehen des Autors oder Absicht?
Wahrscheinlich gilt diese Lesart des Romans: Der Protagonist befindet sich mitten in der Pubertät, hat sich in Lia verliebt, hatte mit ihrer älteren Schwester Sex - oder ist das auch nur eine Einbildung gewesen? - und stemmt sich gegen seine bestimmende Umwelt, wie Schule, Tradition oder Gesellschaft. Er sucht in Lia seine neue Bestimmung, sein eigenes Lebensziel oder seine Lebenswirklichkeit. Alles was er wahrnimmt, ist ein ineinander verwobenes Denken, Fühlen und Handeln, das nicht mal er selbst begreifen kann. Pubertät!
Vierlleicht gibt es auch eine andere Lesart!
Warum der Autor diese zum Teil verwirrende Form gewählt hat, von der festgefügten Vorgabe des Romans 1984 sich hin zu mythischen Bildern der thrakischen und griechischen Mythologie wendet und den freudschen Begriff Über-Ich einbaut, dass weiß man nicht.
Es ist vorstellbar, dass jugendliche Leser*innen das Buch nach der Hälfte enttäuscht weglegen. Der versprochene spannende Auftakt mündet in ein zum Teil schwer entwirrbares Rätsel.
Wer allerdings Freude an poetischer Sprache, an philosophischen Gedankengängen und Mythologien hat, der ist hier genau richtig. In diesem Fall ist dann die logische Handlungsabfolge nicht mehr so wichtig.
Nicht ohne Grund hat Stefan Beuse eine Reihe von Stipendien und Preise erhalten. So den Literaturförderpreis der Stadt Hamburg oder u.a. 1999 den Preis des Landes Kärnten beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt. Und er war im Frühjahr 2005 Writer in Residence an der Cornell University in Ithaca, New York. Außerdem wurden zwei seiner Bücher verfilmt.

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Diese Rezension wurde verfasst von Walter Mirbeth; Landesstelle: Bayern.
Veröffentlicht am 15.05.2023