Die Brüder Grimm - eine Biographie

Autor*in
Martus, Steffen
ISBN
978-3-87134-568-5
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
608
Verlag
Rowohlt
Gattung
BiografieMärchen/Fabel/Sage
Ort
Reinbek
Jahr
2009
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
26,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Märchen. Sofort ist Rotkäppchen da, der Wolf. Dann folgen Hänsel und Gretel, die sieben Geißlein. Die kennt man - immer noch - in Deutschland. Vielleicht weiß man auch, dass es diverse (andere) Märchensammler gab, aber auf Anhieb fallen sofort die Brüder Grimm aus dem Gedächtnis. Wie hießen sie noch gleich mit Vornamen? Ach, gab es sie wirklich, die beiden?

Beurteilungstext

Keine Übertreibung, die letzten Fragen sind verbürgt. Dabei kennt man mindestens die beiden älteren Herren mit den dunklen Jacken und den weißen Hemden, beide haben eine schwarze Fliege untergebunden, der eine trägt eine merkwürdige Mütze.
Das "gewichtige" Buch geht dem Leben dieser beiden Herren nach. Wir befinden uns im späten 18. Jahrhundert, es gibt noch kein einheitliches Deutschland. Wer verreisen will, ist auf einen guten Pass angewiesen, auf Geld und eine gute Kutsche, muss sich auf viele Grenzübergänge und verschiedene Währungen einrichten.
Eine allgemeine Schulbildung gibt es nicht. Wer es sich leisten kann, schickt sein Kind auf eine Lateinschule, wo es immerhin leidlich lesen, schreiben und rechnen lernen kann. Das hängt allerdings sehr vom Lehrer ab, der meist nicht viel mehr weiß, als er zu vermitteln hat.
Die beiden Brüder Jacob und Wilhelm Grimm dürfen sogar das Lycëum (Gymnasium) besuchen, das damals noch nicht jahrgangsmäßig ausgerichtet ist (wie heute), sondern dem Können und dem Lernfortschritt entsprechend. So kann man innerhalb kürzester Zeit sein Abitur erreichen und weiterhin studieren. Wir folgen den beiden Brüdern, die zwei Jahre nach dem Tod des Vaters im Jahr 1798 das Lycëum in Kassel besuchen und bereits vier Jahre später das Jura-Studium aufnehmen.
Da ist von ihrem jetzigen Ruhm noch überhaupt nicht die Rede. Es dreht sich um Lebensunterhalt, mehr noch: um Lebenserfahrung. Man findet sich mit Gleichgesinnten, ein kleines Netzwerk entsteht, das ein Leben lang halten wird. Innerhalb dieser Gruppe (wie in der Familie) gibt es den Grundsatz der "inneren Einigkeit der Gegensätze", der es ihnen (und uns in der Nachempfindung) ermöglicht, scheinbare Gegensätze gnädig aufzunehmen, ohne die Person, die dahinter steht, zu verunglimpfen. Das gilt vor allem für die Familie (nur Jacob und Wilhelm werden privilegiert durch die Bildungschancen, müssen daher die anderen Geschwister später durch das Leben bringen), aber auch für die "IN-Group", würde man heute sagen. Friedrich Carl von Savigny und sein Kreis gehören dazu und Clemens von Bretano und Jenny von Droste-Hülshoff.

Der Text fordert den Leser mit dem Bleistift sehr oft, dass er am Rand ein "Ch" für einen weiteren Bruchteil des Charakters der Person anmerken muss. So gewinnen die Bilder der beiden Brüder Stück um Stück, Zeit um Zeit, Ort um Ort an Statur, werden deutlich, auch wenn nicht immer sympathisch. Eigenbrötlerisch fast der eine, eher kränklich der andere. Und doch gehen die beiden ihren Weg, verlassen die zweite Reihe des Bekanntheitsgrades um in die erste zu treten, locken sogar gegen den Dienstherrn. Zur Erinnerung: Wir sind noch immer im "Deutschland" der Fürsten.

Das Buch folgt chronologisch der Entwicklung der beiden und fügt, wie es sich für ein wissenschaftliches Werk gehört, eine Reihe von Anmerkungen an, verweist auf Quellen. Daneben gibt es ein Literaturverzeichnis, ein Personenregister und eine Zeittafel. Es eröffnet im Ganzen den Blick auf eine "deutsche Zeit" vor 1871 und vor allem auf Charaktere, die auch damals nicht alltäglich waren.

Der Anspruch des Buches geht deutlich über "Schulwissen" hinaus, ermöglicht aber auch Schülern (der Oberstufe) einen intensiven Blick in diese Vor-Deutschland-Zeit, da das Leben der beiden Brüder ohne die historische Betrachtung des möglichen Umsturzes und der Vereinigung der Kleinstaaten in ein geeintes Deutschland nicht denkbar ist.
Wer sich für die beiden Personen darüber hinaus interessiert, ihren Lebenslauf, ihre Lebensplanung und die Bedeutung, die ihre Arbeit hat(te) und haben wird, der wird durch die hervorragende Herausarbeitung der Charaktere von Jacob und Wilhelm Grimm in vielen einzelnen Facetten bedient. Und spannend zu lesen ist das Buch auch noch.

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Diese Rezension wurde verfasst von uhb.
Veröffentlicht am 01.01.2010