Der Schatten an meiner Wand

Autor*in
Lundberg Hahn, Kerstin
ISBN
978-3-8489-2026-6
Übersetzer*in
Haefs, Gabriele
Ori. Sprache
Schwedisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
183
Verlag
Aladin
Gattung
Ort
Hamburg
Jahr
2014
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
12,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Erneut sitzt Micke in einer fremden Klasse. Ihre Mutter, Altenpflegerin und Künstlerin zieht oft um. Vor den Ferien treffen sie in dem kleinen Ort ein. Wenig Zeit, eines der Zimmer im alten Haus provisorisch einzurichten. Sie findet Mädchen zum Spielen, später einen ungewöhnlichen Freund. Sie baut Kontakt zu zwei liebenswürdigen alten Menschen am Arbeitsplatz ihrer Mutter auf. Haus und Umgebung scheinen verwunschen und geben nicht nur ihr mysteriöse Hinweise auf ein ungeklärtes Verbrechen.

Beurteilungstext

Es scheint zunächst eine einfache Spukgeschichte zu sein, die gut in das ländliche Umfeld eines schwedischen Wald- und Flussgebietes zu passen scheint. Die vielen verträumten Blumen zeugen von Idylle aber die wilden Flussschnellen von Gefahr. Immerhin scheint es nicht allzu gefährlich zu sein, sich auch außerhalb der Wege alleine in der Natur zu bewegen.
Der Titel deutet jedoch auch erweiterte Lesarten an. Dieser undeutlich erkennbare “Schatten an der der Wand” befindet sich im Zimmer eines alten Hauses, in das Micke mit ihrer Mutter zieht. Die Mutter übernimmt mit Freude und Engagement eine Arbeit in der Altenpflege in einem Haus in der Nähe. Damit verdient sie das wenige Geld, das sie für ihre Tochter und für ihre Kunst benötigt. Das Haus ist einfach, leicht heruntergekommen aber mit einigen Änderungen sicher bald gemütlich herzurichten, ebenso wie der wilde Garten. Die beiden haben offenbar gelernt, einfach zu leben und dennoch füreinander und für Anderes Zeit zu haben. Sie kochen und essen gern zusammen und haben auch sonst Zeit füreinander. Der Freund der Mutter lebt in erreichbarer Nähe und kommt zu den Wochenenden.
Es ist besteht ein vertrauensvolles Verhältnis und doch bespricht Micke nicht alles, was sie beschäftigt, mit ihrer Mutter. Dass der Schatten auf der alten Tapete die Umrisse einer Figur aufweist, erzählt sie z. B. auch dann nicht, als sie längst das merkwürdige Aufleuchten des Lichts und die Veränderungen im Zimmer mit dem Schatten in Verbindung bringt.
Der Schatten erfüllt im Laufe der Geschichte die Rolle eines Katalysators, der die Erzählstränge in Verbindung bringt. Er ruft Erfahrungen ab, erzeugt Neugier, Empathie aber auch Gruseln. Es scheint zu spuken in dem Haus. Das ist auch das erste, was sie von ihren neuen Mitschülerinnen erfährt, als sie erzählt, wo sie lebt. In dem Haus soll es deshalb spuken, weil dort ein Mädchen gelebt hat, das ermordet wurde. Den Täter hat man nie gefasst. Die vielen Umzüge haben Mike viele Erfahrungen sammeln lassen, haben sie aber kontaktbereit und neugierig bleiben lassen. Sie erfasst Zusammenhänge schnell und beobachtet gut.
In der Klasse herrscht ein oberflächlich gutes Klima, wenn nicht die Trennung zwischen den Aktivitäten von Jungen und Mädchen wären, die völlige Isolierung eines seltsam verschlossenen aber aggressiven Schülers wären.
Die Lehrerin tut ihren Dienst, sieht aber über Ungerechtigkeiten und Gemeinheiten hinweg.
Dieser Junge, so muss sie später feststellen, wird eindeutig von den Mädchen gemobbt. Vor allem sein Äußeres, seine Kleidung und sein angeblicher Geruch werden ihm vorgehalten. Die Lehrerin unternimmt nichts, lächelt sogar manchmal dazu.
Als Micke in dem Heim, in dem viele Alte eigene Wohnungen haben, auf den freundlichen Sixten trifft, erfährt sie mehr über das Geschehen, das einem Mädchen passiert ist, als Sixten in Mickes Alter war. Die zweite Alte, Harriet, ist seit Mickes Besuchen verstört. Sie hält sie für Ella, das getötete Mädchen und bittet um Verzeihung.
Micke spricht mit niemandem, auch dann noch nicht, als ihr der Schatten eindeutige Hinweise zu geben scheint. Sie läuft lieber allein an den Fluss und findet durch Zufall den alten Wohnwagen ihres Mitschülers, der sich dorthin oft zurückzieht, wenn er es zu Hause nicht aushalten kann. Sie finden gegenseitiges Vertrauen und daher erfährt Micke, dass sich das Mädchen, das sie inzwischen von einem alten Foto aus Sixtens Wohnung mit dem Namen Ella und dem Schatten in Verbindung bringt, tatsächlich bei ihr am Fluss gewesen ist. Ihr Freund hat sie eindeutig gesehen hinter ihr und kann sie genau beschreiben. Sie sah genauso aus wie das Mädchen auf einem Foto. Sie soll, so hat ihr Sixten erzählt, die Tochter eines Müllsammlers gewesen sein, die von ihrer Klasse gehänselt und verhöhnt worden ist. Keiner hatte ihr geholfen.
Micke verdächtigt Eltern oder Harriet, am Tode Schuld zu sein. Doch Sixten verneint diese Idee vehement. Er hat mitgemacht, ist mitschuldig geworden. Harriet nie. In einem tiefen Traum findet Micke neben dem Schatten Hinweise auf den Zugang zu Ellas altem Zimmer. Man hätte ihn längst vermuten könne, denn von außen war ja noch ein zweites Fenster neben ihrem Zimmer zu sehen. Sie findet auch das Versteck eines kleinen Tagebuches in Form eines sorgfältig geführten Schreibheftes und klärt schließlich den Tod als Unfall auf, den Harriet, die neue und einzige Freundin von Ella am gefährliche Fluss nicht verhindern konnte. Das Wasser war zu reißend und die Steine glitschig. Fast wäre Micke selbst verunglückt, doch ihr Freund Kalle, den sie in Gefahr wähnte, konnte sie retten.
Es gab aber auch noch die helfenden Hände aus dem Wasser unter ihr, die verhinderten, dass sie wieder ins Tiefe gezogen wurde und es gibt den Schatten, der mehr und mehr zu verblassen scheint. Sie kann die verwirrte Harriet durch Einfühlsamkeit von ihrer Unschuld überzeugen und mit einer Idee des Freundes ihrer Mutter auch dafür sorgen, dass ihrem Freund geholfen wird. Die Beziehungen innerhalb der Klasse scheinen sich zudem auch auf gute Art neu zu ordnen.
Wenn nur einer einmal unerwartet handelt, kann es auch andere zum Nachdenken bringen. Vielleicht ist alles nach den Ferien anders?
Der “Schatten an meiner Wand” steht nicht nur für Spuk, sondern verweist auf eigene dunkle Seiten und auf schuldhaftes Verhalten aber birgt auch Hoffnung. Ohne Licht gäbe es die Schatten gar nicht.
Das Buch ist spannend und leicht lesbar geschrieben. Schnell befindet sich der Leser in der Landschaft und den je eigenen Milieus der Klasse und der Pflegeeinrichtung, in der Wärme zu herrschen scheint. Der Verlauf des Geschehens scheint denkbar und nicht unwahrscheinlich zu sein. Spuk und Vergangenheit sind nachvollziehbar und können als wahr angenommen werden, ohne die Spannung zu durchbrechen.
Die umsichtige Haltung des Mädchens lässt den Geist, der umgeht, zur Ruhe kommen, lässt ihn Frieden finden. Schuldhaftes Tun in der Gegenwart kann erkannt werden.
Kerstin Lundberg Hahn schreibt ohne moralischen Zeigefinger oder Vorwürfe. Es wirkt nie platt, auch wenn es um die Tröstung geht, die Freundschaft geben kann, um vorurteilsfreies Denken und Handeln, egal in welchem Alter, um Gespräche zwischen Jungen und Alten. Die Empathie ist so selbstverständlich, verwoben mit Text und Handlung und passiert eher zwischen den Zeilen. Die Protagonistin kann überzeugen, dass es notwendig ist, Lebensgeschichten ernst zu nehmen und nicht den ersten Eindrücken zu folgen, sondern nachzufragen und selbständig mitzudenken.
Dann kann Leben so spannend wie eine Spukgeschichte sein und weitere Schatten können sich vielleicht lüften lassen. Dabei helfen können bei Glück die Mutter, die hier durch ihre Kunst ja offen sein sollte für fremde und neue Sichtweisen und der Alte, der seine Vergangenheit noch nicht verleugnet, sondern mit ihr lebt und bereit ist, falsches Verhalten zuzugeben und sich auf Gespräche einzulassen. Es wird sich lohnen dieses Buch genau und mit anderen zu lesen und mit eigenen Erfahrungen zu verknüpfen.

Die Autorin nutzt das Genre der Spukgeschichte, um über Freundschaft, Ausgrenzung und Beziehungen zwischen den Generationen nachzudenken. Schuld, eine nicht verarbeitete Vergangenheit und neue Konflikte der Gegenwart haben plötzlich miteinander zu tun. Zu allem und an vielen Stellen können Kinder und Erwachsene über eigene Erfahrungen sprechen. Ein gutes Medium, um über “Mobbing” in der Gruppe zu sprechen.

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Diese Rezension wurde verfasst von stoni.
Veröffentlicht am 01.01.2010