Der Nachtgärtner

Autor*in
Fan, Eris
ISBN
978-3-946593-03-4
Übersetzer*in
Jacoby, Edmund
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Fan, Terry
Seitenanzahl
48
Verlag
Jacoby & Stuart
Gattung
BilderbuchBuch (gebunden)Sachliteratur
Ort
Berlin
Jahr
2016
Lesealter
4-5 Jahre6-7 Jahre8-9 Jahre10-11 Jahre12-13 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
14,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Der Nachtgärtner besucht den tristen Grimlochweg. Die Schönheit seiner nächtlichen Gartenarbeit verzaubert die Menschen, verändert ihr Miteinander. Als er fort ist, übernimmt der Waisenjunge William die Aufgabe des geheimnisvollen Künstlers.

Beurteilungstext

Die Brüder Terry und Eric Fan halten in "Der Nachtgärtner" ein unaufdringliches Plädoyer für die Kraft der Kunst, das Leben der Menschen zu verändern. Sie sind dabei so zurückhaltend wie ihr Protagonist, der namenlose Nachtgärtner, ein alter, freundlicher Mann, der unerkannt nachts Spuren des Schönen in einer trostlosen Gegend hinterlässt.
Mit sehr wenigen, genauestens gewählten Worten, erzählen sie eine harmlose Geschichte, die die Welt nicht retten wird und der jede moralische Belehrung fehlt, die aber die Möglichkeiten und Tragweite schöpferischer Impulse aufzeigt. Sie gehen dabei äußerst feinfühlig vor und umgehen geschickt eine bloße Bewertung der ausgelösten Veränderungen in besser oder schlechter: Was der Text ausspart, bietet das Bild an, und je nach Lese- und Bilderfahrung öffnen sich so verschiedene gleichrangige Ebenen und Möglichkeiten des Verstehens.
Am Ende des tristen Grimlochwegs, einer farblosen Straße als zeitlose Kulisse, mit Menschen, die blicklos aneinander vorübergehen, steht ein Waisenhaus. Hier wohnt William. Eines Tages sitzt er vor dem Haus und zeichnet mit einem Stock eine Eule auf den Boden. Am nächsten Morgen entdeckt William etwas Besonderes. Jemand hat die Krone des Baums, der neben dem Waisenhaus steht, über Nacht in eine prächtige Eule aus leuchtend grünem Blattwerk verwandelt. Er ist fasziniert und spürt, dass eine Veränderung vor sich geht. In den nächsten Nächten verwandeln sich die Baumkronen in der Nachbarschaft in Katzen, Papageien, Hasen, Elefanten und sogar einen Drachen. Die Menschen schauen nicht mehr nur zu Boden, sie staunen über die Kunstwerke, die über Nacht in ihren grauen Alltag Einzug gehalten und nebenbei das gesellschaftliche Leben geweckt haben: Die vorher farblosen Menschen werden zu Individuen, stehen beieinander, kommen ins Gespräch, nehmen sich als Nachbarn wahr, feiern zusammen in ihrer Straße unter den schönen, in Skulpturen verwandelte Bäumen.
Eines nachts entdeckt William den Nachtgärtner, der auf dem Weg in den Park ist. Der freundliche alte Herr lädt den Jungen ein, ihm bei der Arbeit zu helfen. Sie arbeiten die ganze Nacht, und William schläft vor Erschöpfung ein. Am nächsten Morgen erwacht er an einen Baum gelehnt, im Gras neben sich eine Gartenschere: ein Geschenk des geheimnisvollen Nachtgärtners. Währenddessen ist im Park ist lustiges Treiben, die Menschen bewundern die Kunstwerke, die William und der Nachtgärtner geschaffen haben: Ein ganzer Zoo ist entstanden mit Nashorn, Strauß, einem Bär, einer Giraffe, sogar ein Walfisch schwimmt nun im Geäst über der Wiese. Das Leben mit seinen Farben, seinem Lachen, dem Spiel und der Freude ist zurück.
Doch die organischen Kunstwerke sind nur temporär: Jahreszeiten und neues Wachstum lassen sie verschwinden. Im Winter erinnern die nackten Zweige nur noch fern an die sommerlichen Tiergestalten in den Wipfeln, doch das Erlebnis der Wahrnehmung der besonderen Form hat die Menschen ein kleines Stück verändert, hat sie angeregt, ihr Leben und ihre Umwelt zu gestalten:
das Dach zu reparieren, neue Blumen zu pflanzen, auf der Straße mit Freunden zu spielen, im Sommer einen Limonadenstand vor dem Haus zu machen, ohne dass sie es unbedingt diesem Sommer mit dem Nachtgärtner zuschreiben, oder der Künstler es gar als sein Verdienst ansieht.
Mit der Gartenschere als bildhauerisches Werkzeug hat der Einzelgänger William nun eine Möglichkeit des Ausdrucks gefunden. Er schafft dadurch immer wieder neue, gesellschaftlich wirksame ästhetische Impulse: der schöpferische, künstlerisch arbeitende Mensch als unverzichtbares Mitglied einer vitalen Gesellschaft.
Abgesehen von der inhaltlichen Dichte und dem perfekten Zusammenspiel zwischen Text und Bild, ist das Buch gründlich durchdacht und anspruchsvoll gestaltet:
Vom Cover in stimmungsvollen Blau- und Grüntönen und silbrig geprägtem Titel, dem mit Ranken verzierten Vorsatzpapier, der sensiblen Farbigkeit, die die Tristesse ebenso einfängt wie verschiedene nächtliche Atmosphären und als tragendes Element die Dramaturgie des Buches mitbestimmt, lassen sich immer wieder feine Details entdecken, sodass man sich über längere Zeiträume mit dem Buch beschäftigen und sich in der Betrachtung vertiefen kann.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Veröffentlicht am 21.04.2017