Der Leuchtturm auf den Hummerklippen

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April 1945. Helgoland ist ausgebombt. Tante Julie und der Poltergeist Hans im Netz sind im Ruderboot unterwegs zum Leuchtturm auf den Hummerklippen, zum Wärter Johann. Dort vertreibt man sich die Zeit bis Tante Julies Ankunft mit dem Erzählen von Geschichten...

Beurteilungstext

Zeit seines Lebens ist James Krüss ein Geschichtenerzähler gewesen. In all seinen Büchern nimmt er Kinder mit auf abenteuerliche Reisen in die fernsten Welten, nach China und an den Nordpol, in die Südsee und nach Afrika. In vielen Büchern begegnet man immer wieder den gleichen Gestalten.
Tante Julie hat man schon früher kennen gelernt. Da saß sie an friedlichen Abenden in ihrem Haus auf Helgoland und trank Tee mit ihren Gästen und man erzählte sich bei Kerzenlicht Geschichten und Gedichte. Nun geht der fürchterliche Zweite Weltkrieg seinem Ende zu. Johann, der alte Wärter auf dem Leuchtturm, und Alexandra, die Möwe, bekommen nicht viel mit von dem Krieg, doch sie hören den Donner der Schiffskanonen und sehen die schweren Bombenflieger. Johann sehnt sich nach dem Frieden, weil er die große Lampe unter der Kuppel nicht mehr anzünden darf. “Er sehnte das Ende des Krieges herbei, damit die Strahlen seiner Lampe wieder friedlich die Nacht erhellen könnten.”
Da macht sich am 19. April Tante Julie in einem winzigen Ruderboot auf, zu Johann übers Meer zu fahren, zu ihrem alten Freund, der sie früher oft besucht hat - früher, zu Friedenszeiten. Nun ist Helgoland durch Bomben zerstört. Es ist ein mühsamer Weg für die alte Frau und ihre Kräfte drohen zu erlahmen; der Poltergeist, der sie begleitet, ist seekrank und keine große Hilfe. In der Ferne verfolgt Johann auf dem Leuchtturm stehend den Lauf des kleinen Schiffchens. Das ist die Rahmenhandlung des Geschehens, und sie wird ausgefüllt von 22 Geschichten und erzählenden Gedichten, die die Zeit des Wartens verkürzen und auch dazu dienen, den einen oder anderen von schlimmem tun abzulenken: die Wolke etwa, um sich ausgerechnet über Tante Julie auszuregnen, den Wassermann, um das Meer das kleine Boot verschlingen zu lassen.
Sie alle sind wild auf Geschichten, Geschichten zu hören und Geschichten zu erzählen, und so erzählen sie, die Möwe Alexandra und der Wassermann Markus Marre, da singt und erzählt der Leuchtturmwärter Johann; da zeigt der Poltergeist im Netz sein Erzähltalent und die Wolke sagt ein Gedicht auf. Die Maus Philine erzählt und die Gummischnabelente, Miss Gloria Brown und ein freundlicher Neger. Zum Teil sind es lustig-turbulente Klamaukgeschichten, zum Teil besinnlich-tiefsinnige Märchen, Lügengeschichten, realistische Geschichten, Heimatliches und Fremdes, Gleichnisse von menschlichem Verhalten. “Bei Geschichten kommt es nicht darauf an, dass sie wahr sind, sondern dass sie schön sind, sagt Tante Julie - und dieser Satz steht wie ein Leitmotiv über dem gesamten Roman. Und nicht nur über diesem.
Dem großen Vorbild der Geschichtenerzählerin Scheherezade in “1001 Nacht” folgend, hat Krüss den “Leuchtturm auf den Hummerklippen” später in seine “Geschichten der 101. Tage” eingebettet, einen Zyklus, in den er seine Romane eingeordnet und durch eine spätere Rahmenhandlung verbunden hat. Die Geschichten James Krüss’, die belehren wollen, sind nur scheinbar naiv; sie bergen in sich den ganzen Schatz seiner Lebenserfahrung und des Glaubens an eine bessere Welt, die es den Kindern zu vermitteln gilt.