Der Hüter des Feuers

Autor*in
Graham, Jo
ISBN
978-3-442-49169-8
Übersetzer*in
Bezzenberger, Marie-Luise
Ori. Sprache
Amerikanisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
476
Verlag
Goldmann
Gattung
Erzählung/RomanFantastikTaschenbuch
Ort
München
Jahr
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüre
Preis
13,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Aus der Antike – der Alten Welt – stammen viele Erzählungen, die Europa und auch die Welt geprägt haben und prägen. Die Geschichte von Alexander dem Großen ist derzeit weniger bekannt und beliebt. Vielleicht eignet sie sich gerade deswegen für einen ungewöhnlichen Blick auf die Vergangenheit, auf eine uns vertraut-fremde Welt, in der – obwohl längst vergangen – sich Abenteuer, Magie und Liebe wiederfinden lassen.

Beurteilungstext

Große Männer werfen lange Schatten. Diese Redewendung trifft auch auf Alexander den Großen zu. Seine Persönlichkeit und seine Lebensgeschichte haben bereits seine Zeitgenossen faszniert, so dass er zu Lebzeiten eine Legende wurde.

Wenn etwas Schatten wirft, dann steht es im Licht und ist vom Schatten aus nur undeutlich zu erkennen. Der Schatten selbst liefert nur ein verzerrtes Bild und lässt nur die Umrisse erkennen. Da kann schon einmal aus ein paar Handgesten ein Vogel oder ein Wolf werden. Diese Schattenspiele sorgen nicht nur für Verwirrung, sondern sind auch eine Quelle für Kreativität und Unterhaltung. In dem hier vorliegenden historischen Roman bieten sie einen anderen Blick auf die Zeit von Alexander dem Großen.

Der Roman steht schon deshalb im Schatten der historischen Gestalt, weil er mit dessen Tod in Babylon einsetzt und dadurch auf Ereignisse der Nachfolge Alexanders blick. Der Schatten beschreibt hier eine Leere – ein Machtvakuum. So spektakulär wie der Aufstieg Alexanders, so war auch sein Niedergang. Wer wird dem Herrscher folgen? Was hält das Reich noch zusammen?

Ein Schattenspiel ist der Roman auch, weil die Hauptfigur Lydias einen ähnlich kometenhaften Aufstieg hinter sich hat. Als unehelicher Sohn wird er in Milet an einen Pferdehändler verkauft und gerät von dort aus in den Kriegszug Alexanders nach Indien. In der Gegenwart des Romans ist er die rechte Hand von Ptolemaios, der in Ägypten als Regent eingesetzt worden war. Durch den Blick auf diese Schattenfigur verschiebt sich der Fokus von militärischen, politischen und höfischen Ereignissen auf das antike Alltagsleben im Heer und in den besetzten Gebieten.

Wenn vor hundert Jahren jemand oder eine das Buch gelesen hätte, dann würde er oder sie es wahrscheinlich für ein dunkles Gegenstück zum herrschenden Glanzbild des 19. Jahrhunderts halten. Aus glorreichen Schlachten werden blutige und verlustreiche Kämpfe. Statt geordneter Reihen durchtrainierter Männerkörper sehen Leser und Leserinnen vagabundierende Kriegsfamilien vorüberziehen – mehr Tross statt vorderster Front. Und anstelle der Vorstellung einer einheitlichen hellenistischen Kultur dominiert die Realität eines Vielvölkerstaats.

Aus dem Schatten treten ebenso die Gefühle hervor. Die Hauptfigur Lydias wird von verschiedenen Empfindungen und Bedürfnissen angetrieben und bewegt. Hier wäre es eine interessante Frage, inwiefern sie der damaligen Zeit entsprechen. Sicherlich hatten die Menschen der Antike auch eine Psyche und eine Seele, aber keine Psychologie und keine Mentalitätsgeschichte. Liebe (Niklas Luhmann) und Träume (Foucault) u. v. a. m., alles hatte einen anderen Kontext, wurde wahrscheinlich anders erlebt und beurteilt.
Das können Leser und Leserinnen an der Rolle des Mythos im Roman erahnen. Der Glaube an die Allgegenwart der Götter des griechischen und ägyptischen Pantheons ist im Roman ein zentrales Motiv. Der Tod Alexanders, der in Ägypten als Pharao ernannt worden war, hat auch in der mythischen Anderwelt eine Lücke hinterlassen. Diese Lücke gilt es zu schließen, damit die Albträume des Mythos nicht weiter an Kraft gewinnen. Lydias, die Schattenfigur Alexanders, kämpft gegen die Schatten des Mythos.

Der Roman kann mit Vergnügen an spannenden Ereignissen, Geheimnissen und Romantik gelesen werden. Leser und Leserinnen können sich aber auch fragen, welches Geschichtsbild hier entworfen wird – was wohl hinter den Schatten, den die Fiktion entwirft, liegt.

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Diese Rezension wurde verfasst von Thomas Bitterlich; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 18.11.2022