Der goldene König und seine Kleckse

Autor*in
Schramm, Marion
ISBN
978-3-86338-605-4
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Schramm, Marion
Seitenanzahl
36
Verlag
kawohl
Gattung
BilderbuchBuch (gebunden)Sachliteratur
Ort
Wesel
Jahr
2020
Lesealter
4-5 Jahre6-7 Jahre8-9 Jahre10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
12,80 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Marion Schramm entführt die Leser*in in das fiktive Land der Kleckse, wo sie in kreativer Weise typische Konflikte um das Thema „Heterogenität“ thematisiert. Dabei regt sie gleichzeitig zum Nachdenken über die Wurzeln einer inklusiven Haltung an.

Beurteilungstext

In dicken, roten Lettern macht die Überschrift die Leser*innen bereits auf den eigentlichen Protagonisten der Geschichte, den goldenen König, aufmerksam und evoziert damit auf konnotativer Ebene Assoziationen von Autorität, Distanz, Macht und Majestät. Doch kontrastierend dazu löst die unmittelbare Fortsetzung der Überschrift gewisse Irritationen beim Lesen aus, denn der goldene und prächtige König steht in enger Beziehung zu gewissen „Klecksen“, die ihm zugeordnet scheinen.
Kleckse entstehen einfach so, sind in ihren Formen nur schwer zu bändigen und haben deshalb etwas Leichtes, Verspieltes und Unkontrollierbares an sich. Und genau so sehen die fröhlichen und farbenfrohen Figuren auf dem Cover aus, die zeichnerisch durch Arme und Mund ergänzt werden und durch ihre großen, aufgeklebt erscheinenden Wackelaugen beim Betrachter distanzschmelzende Sympathien hervorrufen.
Bereits auf der ersten Seite des monoszenisch gestalteten Bilderbuches, das ohne Seitenzahlen auskommt, wird die Leser*in mittels eines auktorialen Erzählers in den zu bearbeitenden Konflikt der Handlung eingeführt. Das narrative Potenzial der durchgängigen Text-Bildparallelität offenbart die Gestalt des Königs als goldenen Klecks, der im Klecksland regiert und seine grünen, blauen, gelben und roten Untertanen vielmehr als „Freunde“ betrachtet. Alle diese personalisierten künstlerischen Kreationen sprechen unterschiedliche Sprachen, die in comicalen Sprechblasen Worte enthalten, welche mit dem Anfangsbuchstaben der jeweiligen Farbe beginnen. Darüber hinaus haben sie unterschiedliche, zum Teil divergierende Vorlieben und hegen nicht näher explizierte Aversionen gegeneinander. Das Einzige, was dieses bunte Potpourri an Farben zu einen scheint, ist die Liebe zu ihrem König. So entfaltet Marion Schramm in kurzen Sätzen und einfachen Worten den sich zuspitzenden Konflikt zwischen den Farbklecksen, bei dem zum einen typische gruppendynamische Prozesse, zum anderen kulturspezifische Spannungen zum Tragen kommen. Implizit wird damit mittels eindimensionaler Wirklichkeitswahrnehmung der Umgang mit Heterogenität, im Speziellen mit kultureller Diversität, in einer fast allegorischen Weise thematisiert. Andere Sprachen werden nicht als Bereicherung, sondern als Barriere empfunden und manifestieren damit einen monolingualen Habitus. Dieser weitet sich neben der linguistischen Dimension auch auf ethologische Phänomene aus und etabliert ein diskriminierendes Verhalten, das von Angst und Aggression gespeist wird. Exemplarisch greift zum Beispiel der Konflikt zwischen roten und blauen Klecksen aktuelle gesellschaftliche Ängste einer Überfremdung auf, welche auf Bildebene durch ein großes, blaues Haus in einem kleinen, roten Dorf symbolisch repräsentiert werden.
Doch wie kann ein Umdenken eingeleitet und ein Perspektivwechsel vollzogen werden? Hier kommt die tragende Rollende des Protagonisten ins Spiel, der in allen Konflikten ausgeblendet war und dessen Position nun von den streitenden Parteien eingefordert wird. Der goldene König ist bestürzt über die Situation und verrät als Lösung des Konflikts sein Geheimnis: Er ist farbenblind und nimmt alle Kleckse „so golden wie er selbst“ ist wahr. Für ihn sind alle „gleich wertvoll und wichtig“ und gleich geliebt. Dies löst heftige Irritationen und Nachdenken in den königlichen Freunden aus und führt schließlich zu einer tiefgreifenden Neuorientierung, die inklusivem Denken und Verhalten Bahn bricht. Anderssein wird zur Bereicherung, Vielfalt eröffnet neue Perspektiven und Farbenfreude wird als schön empfunden.
Damit bringt Marion Schramm zum Ausdruck, dass sich inklusives Verhalten auf dem Grundgedanken der Gleichheit aller Menschen in ihrer Würde gründet und schlägt auf der letzten Seite ihres Buches eine Brücke zum christlichen Menschenbild. Hier sieht sie die Wurzeln eines inklusiven Habitus in einem Gottesbild verankert, das keine Unterschiede macht und in jedem diesen göttlich-goldenen Odem entdeckt, der ihn zu etwas Besonderem werden lässt. „Für die Erwachsenen zum Nachlesen“ belegt sie ihre Perspektive durch informative Bibelstellen zum Thema.
Insgesamt ein Bilderbuch, wie im Klappentext bereits angekündigt, das „Mut und Lust macht auf ein fröhlich-buntes Miteinander“ und insbesondere in literarischen Gesprächen zum Entdecken verschiedenster Ebenen von Heterogenität einlädt, sei es autobiografisch oder gesellschaftlich. Gleichzeitig sensibilisiert es aber auch für die Einzigartigkeit der eigenen Person und eröffnet auf diese einen uneingeschränkt positiven Blick.

Siglinde Spuller

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Diese Rezension wurde verfasst von spu; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 02.08.2020