Der Duft der Kiefern

Autor*in
Schaalburg, Bianca
ISBN
978-3-96445-058-6
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Schaalburg, Bianca
Seitenanzahl
210
Verlag
Gattung
Comic
Ort
Berlin
Jahr
2021
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
26,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Blättert man den "Duft der Kiefern" auf, öffnet man eine Familienchronik der besonderen Art. Feinfühlig und sehr sorgfältig bearbeitet die Autorin mit diesem Buch die Beteiligung ihrer Familie an den Verbrechen während der NS-Zeit auf. Bianca Schaalburg gibt Menschen Namen und Gesichter, die niemand mehr kennt, die vertrieben und ermordet wurden. Sie zeichnet auf, was niemand erleben möchte, und bewahrt das Wissen um die Gräuel nahbar und jugendgerecht.

Beurteilungstext

Als Bianca Schaalburg 2004 mehrere Möbelstücke ihrer verstorbenen Großmutter erbt, ahnt sie nicht, was dies bei ihr auslöst. Denn sie erkennt, dass ihre Großeltern zur Zeit der Nationalsozialisten nicht nur regimetreu, sondern aktiv Beteiligte an den Verbrechen gegen Juden und andere Menschen waren. Sie beginnt, akribisch in alten Familienalben, Erzählungen und zeitgeschichtlichen Dokumenten nach Hinweisen zu suchen, welche die Geschichte ihrer Familie erzählen. Die Fakten, die sie herausfindet, sind keinesfalls positiv. Ihre Großeltern lebten ein gutes, typisch deutsches Familienleben: verheiratet, vier Kinder. Sie durften eine große Wohnung in Berlin Zehlendorf beziehen, die zuvor jüdischen Bürgern gehörte. Davon wusste freilich niemand etwas, zumindest ist es das, was ihre Großmutter immer wieder betont hatte. Auch als ganz offensichtlich jüdische Mitbürger*innen aus Berlin verschwanden, sah niemand etwas. Die Sorgen der Menschen richteten sich nicht danach, was mit ihren Mitbürger*innen passierte, sondern um das eigene Leben: Als zum Beispiel der jüdische Arzt der jüngsten Tochter der Familie seine Praxis gezwungenermaßen schließen musste, fehlte der Familie nur der Kinderarzt. Das Verschwinden des langjährig geschätzten Mannes jedoch war egal. Tiefer und tiefer gräbt die Autorin in alten Dokumenten und versucht, vertriebenen, deportierten und getöteten Menschen Gesichter und Namen zu geben. Ihre Spurensuche führt sie zu Stolpersteinen, in Archive und Onlinedatenbänken. Puzzleteil um Puzzleteil wird aneinandergefügt und viele unausgesprochene Wahrheiten gefunden. So erfährt die Autorin, dass ihr Großvater im lettischen Riga als Aufseher stationiert war. In diesem Internierungslager und im angrenzenden Kiefernwald kamen Tausende Menschen um. Niemand war Zeuge, nur die Kiefern und ihr Duft, der überall in der Luft liegt. Ob ihr Großvater an den Massenmorden direkt beteiligt war, ob er selbst geschossen hat, kann die Autorin nicht abschließend klären.
Mit dem "Duft der Kiefern" hält man eine Art Erinnerungsalbum in der Hand. Blättert man hinein, ist man gleichzeitig fasziniert als auch zutiefst erschüttert darüber, wie genau die Autorin die Vergangenheit ihrer eigenen Familie aufgearbeitet hat. Dabei ist sie ebenso schonungslos, wie feinfühlig vorgegangen. Denn sie stellt ihre Großeltern trotz allem was in der damaligen Zeit passiert war, als liebende Eltern dar. Die Kinder wuchsen geborgen in einer großen Familie auf.
Die Graphic Novel lebt durch ihre Bilder. Schaalburg gelingt es eindrucksvoll, Originalfotos in ihre Zeichnungen so zu integrieren, dass kaum ein Unterschied zwischen Foto und Zeichnung zu sehen ist. Die Bilder sind sehr präzise und sorgfältig gezeichnet und insbesondere der Ausdruck auf den Gesichtern beeindruckt sehr. Allzu oft erschauert man, wenn man die Mimik der Menschen betrachtet. Mit sehr klaren Linien erzählen die Bilder die grausamen Geschichten der Verfolgten und obwohl fast alle Bilder koloriert sind, kommt die Autorin mit wenig Farbe aus, sondern wendet Kolorierungen sehr gezielt an und gestaltet die einzelnen Buchabschnitte und Kapitel in verschiedenen Farben.
Im Anhang des Buches findet sich chronologisch sortiert eine Ereignis- und Informationstafel. Übersichtlich werden hier Orte und Menschen gelistet, die mit Judendeportation, Menschenvernichtung, aber auch Widerstand und Aufarbeitung zu tun haben. Ideen zum Weiterlesen, Links zu Filmen oder Daten finden sich hier gut übersichtlich angeordnet.
Niemand kann das, was den Ermordeten passiert ist, wieder gut machen. Aber man kann beginnen die Beteiligung und das Wissen an dem was damals geschehen ist, nicht mehr zu leugnen. Bianca Schaalburg ist diesen mutigen Schritt in ihrer eigenen Familie gegangen. Das vorliegende Buch schafft es auf wunderbare Weise, persönliche Familiengeheimnisse so zu offenbaren, dass es nachdenklich stimmt ohne völlig zu verurteilen. Aber es zeigt auf, dass viele Familien direkt oder indirekt an den Taten beteiligt waren. Es zeigt, dass die Bevölkerung sehr wohl wusste, was damals geschah. Nicht um anzuklagen, sondern um zu verhindern, dass jemals wieder Menschen systematisch vertrieben und ermordet werden. Es hilft dabei, Geschichte greifbar zu machen, damit verhindert wird, was nie hätte geschehen dürfen.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Veröffentlicht am 03.01.2022

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