Der Bus von Rosa Parks

Autor*in
ISBN
978-3-941787-40-7
Übersetzer*in
Pasquay, Sarah
Ori. Sprache
Italienisch
Illustrator*in
Quarello, Maurizio A.
Seitenanzahl
40
Verlag
Jacoby & Stuart
Gattung
BilderbuchSachliteratur
Ort
Berlin
Jahr
2011
Lesealter
6-7 Jahre8-9 Jahre10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
14,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Ein Großvater fährt mit seinem Enkelsohn im Überlandbus nach Detroit. Eine stundenlange, weite Reise, nur um im Automuseum einen Bus anzuschauen? Wir erleben eine kleine und sehr bewegende Geschichtsstunde um Rassentrennung in den Südstaaten der USA, um Stolz und Solidarität. Die wunderbaren großformatigen Bilder in Grau- und Brauntönen zitieren mehr als einmal den großartigen Maler des amerikanischen Realismus, Edward Hopper.

Beurteilungstext

Der Großvater entschuldigt sich bescheiden bei seinem Enkel, aber der versteht nicht und fragt - wir wir auch - wovon der Großvater eigentlich spricht: Ich hatte nicht eingegriffen, ich war nicht mutig genug, ich hatte Angst. Dafür entschuldige ich mich.
Der kleine Ben versteht - wie wir - dass viele erst dann mutig werden können, wenn sie sich an jemanden anschließen können, und da war dann der Großvater doch ein wichtiges Korn im Sand gegen die Ungerechtigkeit.
Wovon sprechen wir? In den Südstaaten der USA wurde die "Trennung der Rassen" gelebt, "Segregation" nannte man das. Das eigentliche Leben fand unter den Weißen statt. Überall dort, wo sie Lücken ließen, durften die "Neger" sie so lange füllen, bis ein Weißer sie doch beanspruchte. Das betraf nicht viele Gaststätten, die Farbige gar nicht als Gast, sondern nur als Reinigungskräfte benutzen durften, aber immerhin für Busse. Farbige mussten hinten einsteigen und nach vorn hin nur Sitzplätze benutzen, bis ein Weißer, der vorn einstieg, diesen beanspruchte.
Klaglos, devot, mit gesenktem Kopf wird das hingenommen, auch aus Angst vor den sie bedrohenden Strafen - legalen wie illegalen von Feme-Versammlungen wie den "Knights of the Ku-Kux-Klan" mit ihren weißen Zipfelmützen, die das Gesicht verbergen, um es den weißen Richtern nicht allzu schwer zu machen, um eventuell klagende Farbige abweisen zu können. Keine Täterbeschreibung, kein Überfall.
In dieser Umgebung von Herrschern und Duckern bleibt plötzlich diese einfache Frau sitzen, aufrecht - ohne aufmüpfig zu sein, still, ruhig, stolz antwortet sie dem aufgebrachten Busfahrer, sie solle gefälligst sofort ihren Sitzplatz für den stehenden Weißen räumen, mit einem einfachen "Nein." Nicht laut, nicht von unten nach oben, sondern geradeaus: Nein.
Rosa Parks wird von der Polizei abgeholt, allerdings hat sie sofort einen wichtigen Verteidiger, den Rechtsanwalt Dr. Martin Luther King. Sie wird sogleich freigelassen, bezahlt die 10 US-Dollar Strafe (Anmerkung: plus 4 $ Gerichtskosten). Das hätte es sein können, aber jetzt beginnt die Geschichte der Solidarität aller Farbigen, die von nun an den Bus nicht mehr benutzen, viele Buslinien in den Ruin bringen. Es dauert ein Jahr, bis Pete Seeger wahrheitsgemäß singen konnte: "If you miss me at the back oft he bus, you can find me nowhere. Come on over to the front of the bus, I'll be sitting right there." Der Oberste Gerichtshof der USA verbot die Segregation.

Für das Bewahren dieser kleinen wie der großen Kämpfe , für die Achtung der kleinen wie der großen Freiheiten dient diese Geschichte. Man darf nicht leichtfertig das aufs Spiel setzen, was mühselig erkämpft wurde. Man muss aufmerksam bleiben, denn "Freedom dies by inches".

Die Geschichte lässt sich gut auch auf unsere Situationen übertragen, und sie gibt ein gutes Gegengewicht gegen die Individualisierung unserer Gesellschaft, die dem Streben nach dem persönlichen Glück Vorrang gibt und die Kraft der Solidarität vernachlässigt. Es bedarf eines unerschütterlichen Muts verknüpft mit der Bereitschaft, für das Ganze auch größere Unannehmlichkeiten im täglichen Leben in Kauf zu nehmen. Es ist ein Appell, die Qualität des Lebens nicht nur nach dem persönlichen Reichtum und dem persönlichen (kleinen) Vorteil zu bemessen.

Die ganz- oder sogar doppelseitigen Bilder folgen der ruhig erzählten Geschichte, sehr unspektakulär und doch sehr beeindruckend. Dass sie die Gemälde von Edward Hopper aufnehmen, ihn in einigen Bildern selbst in den Einzelheiten zitieren (z. B. "Night shadows" von 1921 oder "Chop Suey" von 1929), ist gar kein Manko, sondern eine Hommage an den großen Maler des amerikanischen Realismus. Interessanterweise zeigt Hopper mit ähnlichen Mitteln eher die Einsamkeit des Menschen in einer entmenschlichten Umgebung, während Quarello sein Können in den Dienst der Solidarität der Menschen stellt. In einer Mischung aus grobem Pinsel und bis ins Detail getreu, einem kräftigen Licht-Schatten-Gegensatz und formal sehr stimmig aufgebauten Bildern in Brauntönen (oder in Grau-Weiß mit leichter Kolorierung) zeigt er die passenden Szenen auch aus ungewöhnlichen Blickwinkeln. Da steht der Großvater vor diesem Bus mit dem ehemaligen Ziel "Cleveland Ave" mit offenem Mund, berührt ihn fast ehrfürchtig mit seiner rechten Hand, während sein Enkel mit seinem schon rückwärtsgewandten Blick - noch - glauben mag, dass sein Großvater jetzt endgültig "alt" geworden ist.
Aber dann beginnt sein Großvater zu erzählen, und die Bilder nehmen die Grautöne der Vergangenheit an, leicht braun koloriert, denn die Vergangenheit führt in die Gegenwart und bestimmt auch noch weiter.

Eine wunderbare Geschichtsstunde, die eben nicht von Königen und Schlachten handelt, sondern von Menschen wie du und ich - wenn wir denn mal in den Spiegel schauen. Dass es nicht Rosa Parks war, die die Segregation kippte, sondern eine Kampagne, die wohl überlegt mit viel Einfluss und Organisation vonstattenging, spielt hier keine Rolle. Rosa Louise Parks wurde im Dezember 1955 in Montgomery, Alabama (Phil Ochs: "Alabama is a sovereign state with sovereign people and sovereign hate") verhaftet und war tatsächlich der Auslöser in einer Zeit, die reif dafür war - und die Situation fand die Menschen, die die Bewegung am Leben hielt. Desto mehr ist ihre Haltung zu loben, denn sie wusste nichts von Unterstützung, nichts von Solidarität der anderen, die sie - im Gegenteil - aufforderten, still zu sein und das zu machen, was man von ihr erwartet. Sie blieb sitzen, gerade, ruhig, mit klarem Blick hinter ihrer Brille, und sie sagt zunächst gar nichts, dann aber deutlich: NEIN.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von uhb.
Veröffentlicht am 01.01.2010