Der Bildhauer

Autor*in
McCloud, Scott
ISBN
978-3-551-78840-5
Übersetzer*in
Jan-Frederik, Bandel.
Ori. Sprache
Amerikanisch
Illustrator*in
McCloud, Scott
Seitenanzahl
496
Verlag
Carlsen
Gattung
Comic
Ort
Hamburg
Jahr
2015
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
34,99 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

David Smith ist depressiv, einzelgängerisch und verkannt; und als wäre dies nicht genug: auch noch Vollwaise, Jungfrau und Künstler. Bildhauer um genau zu sein. Ein talentierter natürlich - aber ungesehen und unbekannt. Aus diesem Grund nimmt er auch nur allzu gerne das mephistophelische Angebot an, jede Skulptur, die er sich erträumen kann, mit seinen eigenen Händen modellieren zu können. Ohne Werkzeug, in Sekundenschnelle, ohne Netz und doppelten Boden.

Beurteilungstext

Eines vorab: Es gibt nur wenige Comickünstler, die so großen Einfluss auf die (theoretische) Entwicklung des Mediums hatten wie Scott McCloud. Nach seinem weltweit berühmten Standardwerk ""Understanding Comics“ von 1993 dozieren selbst Universitätsprofessoren. Der witzige Metacomic über die semiotische Analyse der Bildgeschichte von der Steinzeit bis in die Gegenwart gilt bis heute als Pionierwerk der Comicforschung. Soviel zur Vergangenheit. Jetzt hat McCloud seinen ersten großen graphischen Roman veröffentlicht. Auf beinahe 500 Seiten nimmt er den Leser mit auf eine einzigartige Reise durch die Kunstwelt New Yorks und die exemplarische Seele eines „wahrhaftigen“ Künstlers. Mit jeder einzelnen Seite beweist McCloud seine Fähigkeit, die Möglichkeiten der „sequentiellen Kunst“ bis ins letzte Detail ausloten zu können: Eine gute Geschichte ist es trotzdem nicht geworden.

„Der Bildhauer“ ist der gedruckte Beweis dafür, dass theoretische Kenntnis über einen Gegenstand noch keinen Künstler macht. Und formale Virtuosität unfruchtbar wird, wenn die Geschichte fehlt, die sie tragen könnte. Man wird nicht behaupten können, dass ausgerechnet der Mann, der allen anderen gezeigt hat, was das Medium Comic leisten kann, in seiner eigenen Kunst versagt. Aber der „Bildhauer“ ist schlicht und einfach kein herausragender Comic. Fünf Jahre brauchte McCloud, um ihn fertigzustellen. Mehrere Male musste er alle knapp 500 Seiten der in Schwarzweiß und einem blassen Taubenblau kolorierten Story komplett überarbeiten und neu zeichnen. Vielleicht wäre weniger Mühe mehr gewesen. Natürlich ist der „Bildhauer"" ein Triumph, was formale Aspekte des Mediums betrifft: ausgefallene Wort-Bild-Kombination, verrückte Panelübergänge und ein graphische Stilistik á la Craig Thompson. Alle Vorgaben seiner eigenen semiotischen Poetik sind erfüllt und vorgeführt. Selbst auf inhaltlicher Ebene sind alle Register der Comickunst gezogen worden: Der Comic ist zeitgemäß, modern und greift unentwegt die aktuellen Diskurse der Feuilletons auf: Kunst und Narzissmus. Auch Motive, Referenzen und Zitate der Comicgeschichte gibt es an masse, beispielsweise auf das amerikanische Vigilantentum im Comic. Denn nichts anderes als ein postmoderner Spiderman ist der Protagonist David Smith mit seiner plötzlich entdeckten Macht, Gebäude, Brücken oder Straßenbeläge mit bloßen Händen zu „Kunst“ zu formen. Und Onkel Harry, der greise, lakonische Tod an seiner Seite, erinnert nicht umsonst an den Marvel-Gott Stan Lee, den Erfinder von Spiderman, den X-Men, und den Fantastischen Vier.

Dennoch: Der „Bildhauer“ packt den Leser einfach nicht. Eine Spannung und Atmosphäre wie in den graphischen Romanen eines D. Mazzucchelli, A. Moore oder C. Thompson kommt an keiner Stelle auf. Der Roman „schleppt“ sich so dahin, wie man sagt. Vielleicht lag es am Sujet, dass McCloud wählte: Die postmoderne Kunstwelt und seiner Biografie: Denn die Geschichte handelt von einem alter Ego des Autors. Auch zahlreiche anderen Figuren entstammen dem unmittelbaren persönlichen Umfeld McClouds. Vielleicht liegt es aber auch nur an der Erwartungshaltung, die man an jemanden wie Scott McCloud (ungerechter) weise heranträgt.

Wie dem auch sei: Die Filmrechte am „Bildhauer“ sind bereits an Sony Pictures vergeben, McCloud graphischer Roman soll als Realfilm ins Kino kommen: Vielleicht überzeugt dieser mehr als die Vorlage.

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Diese Rezension wurde verfasst von OWA.
Veröffentlicht am 01.10.2015