Der Araber von morgen. Eine Kindheit im Nahen Osten. Band 1

Autor*in
Sattouff, Riad
ISBN
978-3-8135-0666-2
Übersetzer*in
Platthaus, Andreas
Ori. Sprache
Französisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
160
Verlag
Knaus
Gattung
Comic
Ort
München
Jahr
2015
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
19,99 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Riad Sattouffs Graphic Memoir DER ARABER VON MORGEN ist ein ebenso differenzierender wie stereotypisierender Blick auf die Gesellschaften des Nahen Ostens und des Orients. Das dies zusammen möglich ist, liegt an Sattouffs hervorragendem Gespür für die komische und parodistische Ästhetik des Comic.

Beurteilungstext

Dass öffentlichkeitswirksame Polemisierung im politischen Diskurs auch mit einer differenzierenden Perspektive zusammengehen kann, beweist der großartige Comic DER ARABER VON MORGEN des syrisch-französischen Zeichners und Filmemachers Riad Sattouff. Dieser versucht mit seinem irgendwo zwischen Autobiografie, Reportage und Funny zu verortendem Comic Antworten auf die oben zitierte, eigentlich unmöglich zu beantwortende Frage zu sortieren. Autobiografisch ist der ›Text‹, weil der Autor über seine Kindheit reflektiert, die er in Libyen und Syrien verbrachte. Insofern weist er die klassischen inhaltlichen und formalen Merkmale von Graphic Memoirs genannten Comic-Autobiografien auf: Selbstdarstellung als Anti-Held, Inszenierung des eigenen Körpers, Auseinandersetzung mit der eigenen künstlerischen Persönlichkeit (hier schon im Werden), hoher Grad an Bildmetaphorik etc. Er ist gewisserweise auch Reportagecomic, weil Sattouff die Reflexion seiner persönlichen Identitätsentwicklung in ein Spannungsfeld widerstreitender kollektiver Identitäten einbettet und zum besseren Verständnis mit Fakteninformationen verbindet. Und er ist schließlich Funny, also ein Comic im wortwörtlichen Sinne, der sich die aufmerksamkeitssichernde ›Inkorrektheit‹ eines stereotypisierenden Zeichenstils erlaubt, der auch keinen Halt macht bei sozialen und kulturellen Klischees. Allerdings – und das unterscheidet ihn von den politischen Vereinfachern – trifft sein Spott nicht nur ausgewählte, sondern alle sozialen und politischen Gruppen.
Der heimliche Protagonist des ersten Bandes von Der Araber von morgen ist Riads aus Syrien stammender Vater Abdel-Razak, der – aus einfachen Verhältnissen stammend – in den Siebzigern in Paris promovierte und später als Hochschullehrer in Libyen und Syrien arbeitete. Der Vater gerät zur völlig überzeichneten, beinahe grotesken Figur, der davon träumt, ein modernisierender, panarabischer Potentat zu werden. Seine politische Haltung schwankt zwischen den Polen liberaler Weltoffenheit und rigidem Nationalismus, gewürzt mit einer Prise Rassismus, der sich gegen Europäer, Schwarzafrikaner und nicht selten auch gegen die eigene Kultur richtet. Es sind die vielen Identitäten Abdels – Syrer, Sunnit, Akademiker, sozialer Aufsteiger, (Pan)Araber usw. – die teils miteinander in Widerstreit liegen und für viele erheiternde, aber auch nachdenkliche Momente sorgen. Die Botschaft Sattouffs scheint klar: So wenig sein Vater eins mit sich sein konnte, so wenig gibt es den einen Araber. Denn das ›Arabische‹ ist reine Fiktion, es gibt keinen arabischen Staat, keine arabische Gesellschaft, noch nicht einmal – anders als viele im Westen glauben – eine einheitliche arabische Sprache. Die tiefe politische, soziale und religiöse Gespaltenheit ist noch am ehesten das, was die Gesellschaften des Nahen Ostens und des Maghrebs gemeinsam haben.

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Diese Rezension wurde verfasst von mz; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 11.07.2016