Das große Buch der Indianer

Autor*in
Jeier , Thomas
ISBN
978-3-8000-1596-2
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
303
Verlag
Ueberreuter
Gattung
Ort
Wien
Jahr
2008
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
24,95 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

In diesem Standardwerk über die Indianer sind lexikonartig nahezu alle Völker der Indianer in ihren Eigenarten, ihren Bräuchen und ihrer Geschichte aufgeführt. In allen Texten wird deutlich, dass der Autor - wie kaum ein zweiter - alle Völker selbst kennen gelernt hat, aus eigener Erfahrung berichtet und immer den Bezug zur Gegenwart herstellen kann. Eine unglaubliche Fülle von Bildern, meist Fotos, illustriert dieses Indianerbuch.

Beurteilungstext

Solides Lexikon-Format, dreispaltige Seitenaufmachung, unendlich viele Abbildungen: man sieht auf den ersten Blick, dass man es hier mit einem Standard-Werk zu tun hat. An solche müssen aber auch hohe Maßstäbe gesetzt werden. Um es gleich vorweg zu sagen, nicht allen Kriterien hält es Stand, gleichwohl halte ich dieses Werk aber unterm Strich doch für so informationsreich, dass mir eine Anschaffung sowohl für eine öffentliche als auch für eine private Bibliothek als sinnvolle Investition erscheint, der Preis hält sich zudem im Rahmen des Akzeptablen.

Schon der Druck sieht seriös aus: Die zahlreichen Fotos und anderen Abbildungen sind in edlem Schwarz/Chamois gehalten, so dass die neuesten Fotos ebenso alt aussehen wie die ebenfalls verwendeten, die noch mit Platten fotografiert wurden. Das hat einerseits eine erstaunliche Wirkung: der Informationsgehalt der Bilder ist nicht geringer als der von Farbfotos. Andererseits sind viele der von Thomas Jeier angefertigten Fotos von einer qualitativ nicht übermäßig hochwertigen Form, sie werden aber den professionellen und den historischen gleich gesetzt und vertragen diese Transformation durchaus.
Im gleichen kräftigen Chamois sind ganzseitige Infoblöcke vom übrigen Text abgesetzt, was das Auffinden dieser sehr informativen Teile erleichtert. Das ist aber auch nötig, denn es gibt zwar ein Personenregister von Attacullaculla bis Wovoka, von Sir Jeffrey Amhurst bis Edward Wynkoop, nicht aber ein Sachregister oder ein Glossar, in dem zum Beispiel erklärt wird, was denn eigentlich Squash ist, eine der drei Grundsäulen der Ernährung (die anderen beiden sind Bohnen und Mais). Natürlich kann man das überall nachschlagen, aber von einem Sachbuch erwarte ich eigentlich, dass das hier geklärt wird. Ebenso, dass es eine unglaublich große Vielfalt von Maissorten gibt, die die Indianer als Kulturpflanze anbauten, bevor sie von den US-Hybridsorten verdrängt wurden.

Die Dreispaltigkeit erleichtert das Lesen: Je zwei innere Textspalten, eine äußere für Anmerkungen, Schlaglichter, Zitate. Diese Spalte gibt mir allerdings Rätsel auf. Mir ist völlig unerklärlich, nach welchen Kriterien Autor oder Layouter vorgegangen sind. Derlei Sätze sind m.E. dazu da, gesuchte Textstellen schneller wieder zu finden oder besondere Schlaglichter zu setzen (Wie es die neue Gerstenberg-Reihe “global” vorbildlich macht). Hier aber werden wichtige Informationen (“Zwischen 1630 und 1640 starben zwei Drittel der Huronen und ungefähr die Hälfte aller Irokesen an den Pocken”), Informationen, die im Text nicht genannt werden, gleichwertig gesetzt neben banale Aussagen (“Im Jahr 1710 besuchten King Hendrick und drei andere Irokesenführer die englische Königin Anne und erregten am Hof viel Aufsehen”), äußerst fragwürdige (“...Die letzte reinrassige Mandan, starb im Januar 1975” Satzzeichen wie im Original, cjh) und nebulöse Aussagen (“Als junger Rechtsanwalt tötete Rechtsanwalt Andrew Jackson (d.i. der spätere US-Präsident, cjh) einen Mann, der seine Frau Rachel beleidigt hatte”) oder Rätselhaftes, weil sonst nirgendwo im Text erwähnt (“Am 15. April 1895 zerstörte ein Feuer einen ganzen Häuserblock in....”).
Geradezu stiefmütterlich werden die Bilder behandelt: Manche sind beschriftet, andere nicht, berühmte werden gleichwertig neben banale Bilder gesetzt, Meisterfotografien neben typische Urlaubsfotos. Durch die Drucktechnik erscheinen sie auf den ersten Blick alle als gleichwertig. Aber nur auf den ersten.

Jeier schreibt - ganz der seriösen Information dienend - in kurzen, sachlich formulierten Sätzen. Leider wird dadurch die Lektüre nicht unbedingt erleichtert. Das haben C.W.Ceram in “Die ersten Amerikaner” (von dem Jeier die erste Kapitelüberschrift übernahm) und Fredrik Hetmann in seinem INDIANER besser gelöst. Etwas mehr Temperament, etwas mehr Risiko hätte dem Text gut getan. So erinnert das an die Aufgabe, die Schüler erwarten wird, wenn dieses insgesamt doch sehr empfehlenswerte Buch in der Schulbibliothek gelandet ist: an Referate. Selbst Arno Schmidts Siddharta ist dagegen noch eine packende Lektüre - aber dessen sprachliche Qualität ist auch schwer erreichbar.

Vom Süden bis in den hohen Norden untersucht Jeier die Indianervölker und beschreibt wohl alles, was er an Informationen erreichen konnte, vieles basiert dabei auf Wissen, was er von heute lebenden Indianern erzählt bekam (gerade das hätte seine Sprache beflügeln können). Vieles davon taucht dann in den Infoblöcken auf, dort liest man noch Unmittelbares. Den besonderen Vorzug dieses Buches sehe ich darin, dass ein Großteil der Beschreibungen die unterschiedlichen Mythen der einzelnen Völker aufnimmt, die bislang nur in ungeordneten oder verstreuten Einzeldarstellungen vertreten sind. Deutlich werden dabei dann die Gemeinsamkeiten ohne dass die konkreten Mythen miteinander vermengt werden.

Und der Grundtenor ist das Bemerkenswerteste: Erstaunliches hat Jeier über die Kultur der alten Indianervölker zu Tage gebracht, in welch hohem Maße deren Zivilorganisation entwickelt war, aber auch, dass Mord und Krieg Teil dieser Kulturen war. Und von fast allen Nachfahren werden Rituale, Gebräuche und kulturelle Eigenarten bis heute gepflegt oder wieder belebt - und das nicht für die Touristen, sondern für sie selbst. All die Katastrofen, die die Weißen (die hier m.E. nicht ganz korrekt immer als “die Amerikaner” bezeichnet werden) über die Indianervölker brachten, die deren Vernichtung als ausgesprochenes Ziel hatten, haben sie überlebt.

Aber noch sind die Schwierigkeiten nicht beseitigt, noch droht das Schicksal des Aussterbens, Alkohol und Arbeitslosigkeit sind die Damoklesschwerter des amerikanischen Urvolkes. So behandelt das letzte große Kapitel die Doppelrolle von Wounded Knee, aus dem das Überleben der Indianervölker wurzeln könnte - hier sinnreich bebildert mit den Fotos von heutigen Indianerkindern, der einzigen Zukunftschance.

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Diese Rezension wurde verfasst von cjh.
Veröffentlicht am 01.01.2010