Catcalls. Auch Worte sind Belästigung

Autor*in
Klümper, Hannah
ISBN
978-3-423-74079-1
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
256
Verlag
dtv
Gattung
TaschenbuchSachliteratur
Ort
München
Jahr
2022
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFachliteratur
Preis
14,00 €
Bewertung
eingeschränkt empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Unter dem Titel „Catcalls“ arbeitet die Autorin die sexuelle Belästigung in der Öffentlichkeit und ihre teilweise katastrophalen Folgen für die Betroffenen umfassend auf. Außerdem bietet sie viele Informationen zum Umgang mit diesen Demütigungen. Schwerpunkt-Thema ist die weltweite Organisation „Chalk back“, die alle ihr bekannten Fälle durch „Ankreiden“ öffentlich macht.

Beurteilungstext

In diesem Sach- und Aufklärungsbuch wird erschreckend deutlich, dass Catcalling eine bisher nicht oder viel zu wenig beachtete Form von sexueller Belästigung ist. „Denn, es ist doch gar nichts passiert“, wird in der Regel verharmlosend gesagt. Meistens sind es Männer, die jungen Mädchen und Frauen mit anzüglichen Zurufen, Reden oder Nachpfeifen in der Öffentlichkeit das Leben schwer machen. Tatsächlich sind bei vielen Betroffenen (auch Männer gehören dazu) die seelischen Schäden immens. Unsicherheit, Albträume, Schuldgefühle, körperliche Erkrankungen, Angst in der Dunkelheit und Angst vor Vergewaltigung sind die Folgen und müssen oft psychologisch behandelt werden. In der Regel sind es körperliche Merkmale, die lautstark und herabsetzend von den Catcallern formuliert werden. Geschlechtsmerkmale, Figur, Behinderungen oder Hautfarbe können das Ziel der Beleidigung sein, also Dinge, auf die der Mensch selbst keinen Einfluss hat. Besonders häufig sind Menschen mit diverser sexueller Orientierung das Ziel von Beleidigungen. Die Autorin hat für ihre Thesen umfangreiche Recherchen betrieben, zahlreiche Umfrageergebnisse von unterschiedlichen Forschungsinstituten herangezogen und vor allem sehr viele Betroffene zu Wort kommen lassen. Ihr wichtigstes Anliegen aber ist, die Selbsthilfe-Organisation „Chalkback“ vorzustellen, die sich vorgenommen hat, diese oft „harmlos“ genannten öffentlichen Verunglimpfungen von Menschen in der breiten Öffentlichkeit, aber auch bei der Polizei und Justiz sichtbar zu machen. „Chalkback“ ist weltweit mit fast 300 und deutschlandweit mit knapp 130 Aktionsgruppen vertreten. Jede Beleidigung, Anmache und sexistische Belästigung die der örtlichen Aktionsgruppe bekannt wird, visualisiert diese mit wörtlicher Wiedergabe in farbiger Kreide auf der Straße am Ort des Geschehens. Die Angabe von Internetadressen, bei denen betroffene Menschen Hilfe finden können, gehört zu dieser „Standard-Veröffentlichung“. Im Anhang des Buches hat die Autorin fast 20 Adressen von Einrichtungen aufgeführt, die Beratung und Hilfe anbieten. Insgesamt ist das Buch ein wertvoller Beitrag, den widerwärtigen Belästigungen endlich den Kampf anzusagen. Laut Statistik sind es besonders viele Kinder und Jugendliche (10 bis 16 Jahre), die solchen Attacken ausgeliefert sind. Folglich müsste hier schon mit Aufklärungsarbeit begonnen werden. Der Verlag empfiehlt das Werk auch schon für Kinder ab 12 Jahren. Leider muss man sagen, dass nicht nur für diese Altersgruppe die Texte schwer lesbar und erst recht schwer zu verstehen sind. Viele Thesen werden ständig wiederholt, was langweilt. Lästig ist, wenn im Text immer wieder auf andere Kapitel verwiesen wird und die unsäglichen (wissenschaftlichen?) Fachausdrücke, die vielen englischen Begriffe und auch die „Insider-Sprache“ die Lesenden zwingen, im Glossar nachzuschlagen, was zu ständigem Vor- und Zurückblättern führt. Dazu benutzt die Autorin die gendergerechte Sprache in einer überkorrekten Weise, dass selbst radikalste Feministinnen keine Einwendungen haben dürften. Geschlechtsneutrale Begriffe sind aber leichter lesbar als die oft mehrfach pro Satz verwendeten …:innen. Doch bitte, wem helfen Sätze wie diese? „…Male Gaze… Der Begriff beschreibt eine cis männliche, heterosexuelle Perspektive, aus der weiblich gelesene Personen hauptsächlich als Sexobjekte wahrgenommen werden. Das bedeutet, dass der Male Gaze die Körper von weiblich gelesenen Personen objektifiziert und sexualisiert, indem er sie zu Objekten für cis männliche, heterosexuelle Begierde macht.“ Viele Grafiken erhellen die Statistiken. Sehr, sehr viele Fotos von Catcalls, die von den Aktivistinnen und Aktivisten auf den Straßen notiert wurden, dienen der Illustration des Themas. Leider ist kaum ein Foto größer als eine Briefmarke, so dass der Text nur schwer oder gar nicht lesbar ist. Muss auch nicht sein, denn in den einzelnen Kapiteln finden sich die widerwärtigen Sprüche sowieso. Schade, das Buch ist eher als Fachbuch für Sozialberufe zu empfehlen und nicht für die breite Öffentlichkeit, einfach weil es so anstrengend zu lesen ist.

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Diese Rezension wurde verfasst von gem; Landesstelle: Baden-Württemberg.
Veröffentlicht am 04.01.2023