Bald sind wir wieder zu Hause

Autor*in
Bab Bonde, Jessica
ISBN
978-3-96658-178-3
Übersetzer*in
Reichert, Monja
Ori. Sprache
Schwedisch
Illustrator*in
Bergting, Peter
Seitenanzahl
104
Verlag
Cross Cult
Gattung
Comic
Ort
Ludwigsburg
Jahr
2020
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiKlassenlektüre
Preis
20,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Dass das Thema Holocaust für Kinder so aufbereitet werden kann, dass es weder verharmlost noch in allen schrecklichen Details erzählt wird, zeigen die Autorin Jessica Bab Bonde und der Zeichner Peter Bergting eindrucksstark in ihrem Comic „Bald sind wir wieder zu Hause“.

Beurteilungstext

Im Comic „Bald sind wir wieder zu Hause“ werden insgesamt sechs biografische Erlebnisse literarisch verarbeitet. Sie basieren auf den Erinnerungen von sechs Menschen, die den Holocaust als Kinder und Jugendliche überlebt haben. Die einzelnen Episoden werden inhaltlich, bis auf die der Geschwister Emerich und Elisabeth, nicht verknüpft und stehen für sich; strukturiert wird der Comic dadurch, dass jedes Kapitel den Namen des Überlebenden trägt, von dem die Episode handelt. In den kurzen Geschichten wird vom Leben der Protagonist*innen vor der Deportation erzählt, von prägenden Erinnerungen an die Konzentrationslager und schließlich auch von der Rettung und der Zukunft der Überlebenden, was den einzelnen Episoden grundsätzlich einen positiven Ausblick verleiht. Das Schreckliche ist vorüber und die Leser*innen wissen, dass die Überlebenden eine Zukunft haben. Sie erfahren aber auch vom Tod, von Trauer und schlimmen Erinnerungen. Da ist z.B. Tobias aus Lodz, der erzählt, wie er und seine Familie zunächst in ein Ghetto umgesiedelt werden und welche prekären Zustände dort herrschen. Mit nur sechs Jahren arbeitet er in einer Fabrik, 1944 wird er mit seiner Mutter in das Konzentrationslager Ravensbrück deportiert. Die Zeit dort beschreibt er mit dem Begriff „Hölle“. Tobias und seine Eltern überleben und kommen nach Schweden, diesen Ort beschreibt er mit dem Begriff „Paradies“. Er heiratet und bekommt Kinder, benennt sein Zuhause als glücklich. Doch nicht alle Episoden enden so. Selma verliert bis auf ihre Schwester Paula alle Menschen aus ihrer Familie, Emerich berichtet, dass nach der Befreiung jeder Lebensfunke in ihm erloschen war. Am Ende jeder Episode steht ein kleiner Infokasten mit einer Abbildung der Protagonist*innen als Kinder und Jugendliche, der die Leser*innen über ihren weiteren Lebensweg aufklärt.
Der Comic bietet zahlreiche interessante Aspekte, die sich besonders für eine Auseinandersetzung im Literaturunterricht eignen: zum Beispiel die symbolische Bildsprache in Form des Stacheldrahts. Er markiert in den einzelnen Episoden in der Regel einen Raum zwischen Leben und Tod, einen Raum, in dessen Inneren das Böse willkürlich wirkt. Diese Räume sind von Dunkelheit, Gewalt, Leid und Überwachung geprägt, die auch farblich transportiert werden. In „Elisabeth“, der letzten Geschichte, erscheint der Stacheldraht schließlich aber auch als Symbol für Zuflucht und Schutz. Elisabeth gelangt nach ihrer Befreiung in ein Flüchtlingslager, das durch einen Zaun mit Stacheldraht von der Außenwelt abgeschirmt ist. Der Blick von außen durch den Zaun auf das Innere des Lagers offenbart eine grüne, freundliche Landschaft und einen großen Baum im Bildvordergrund, der an dieser Stelle als Symbol für Leben gelesen werden kann. Die prominente Platzierung des Stacheldrahts als positives Symbol für einen geschützten Raum am Ende lässt sich als positiver Ausblick auf die Zukunft deuten.
Der industriell vollzogene Vernichtungsakt der Nazis wird in „Bald sind wir wieder zu Hause“ nicht explizit dargestellt, dadurch findet jedoch keine Verharmlosung der schrecklichen Ereignisse statt. Durch narrative Leerstellen werden die Leser*innen vielmehr zu eigenen Interpretationen dieser animiert. Beispielsweise wird Emerich in seiner Episode bei der Ankunft in Auschwitz-Birkenau als arbeitstauglich eingestuft. Seine Haare werden abrasiert und ihm wird befohlen, zusammen mit anderen Gefangenen zu warten. Im Panel darunter steht, dass die Wartenden dabei den hohen Kamin sehen konnten. Der hohe Kamin, aus dem dunkler Rauch aufsteigt, ist in dem besagten Panel neben dem Text zu sehen, sonst nichts. Was bedeutet es, dass die Arbeitsfähigen den Schornstein sehen? Was passiert mit denen, die als arbeitsuntauglich eingestuft wurden? Die Leerstelle zwischen den beiden Panels weist auf ihr Schicksal hin.
„Bald sind wir wieder zu Hause“ ist ein sehr bewegender Comic, dessen Lektüre grundsätzlich begleitet und ausgiebig besprochen werden sollte.

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Diese Rezension wurde verfasst von Lisa Ingermann; Landesstelle: Mecklenburg-Vorpommern.
Veröffentlicht am 08.03.2023