Anana

Autor*in
Vandewijer, Ina
ISBN
978-3-88698-689-7
Übersetzer*in
Heller, Barbara
Ori. Sprache
Flämisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
Verlag
Gattung
Ort
Schwäb. Hall
Jahr
2004
Lesealter
16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
19,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Eines Tages bringt eine Frau in den Weiten Alaskas ein Mädchen zur Welt und setzt es nicht aus: Ein Tabukind, das kein Recht aus Leben hat. Verachtet und ausgestoßen aus der Gemeinschaft wächst “es” heran, zu einem vollwertigen und geachteten Mitglied der Klans und Sippen.

Beurteilungstext

Es ist ein sehr gewöhnungsbedürftiges Buch, geschrieben von einer Niederländerin. Das trägt zu meinem Unvermögen bei zu beurteilen, inwiefern das hier beschriebene Leben der Inuit in Einzelheiten stimmig ist; aber das, was ich je dazu gelesen oder selbst in Grönland erfahren habe, deckt sich mit der Erzählung. Für einen Jugendlichen ist Lektüre und Lesung allerdings eine Herausforderung; deshalb wurde dieses Buch nicht in unsere oben genannten Themenhefte zu Inuit und Arktis aufgenommen - wobei klar darauf hingewiesen werden muss, dass weder Buch noch Lesung sich von Verlagsseite her in die Jugendliteratur einreihen.
Was die Hörfassung faszinierend macht, ist die Sprecherin Gudrun Landgrebe. Da die gesamte Erzählung die Geschichte einer starken Frau ist, war die Entscheidung richtig, eine Sprecherin statt eines Sprechers zu wählen. Der Inhalt erschreckt den Leser und Zuhörer, der nicht mit Sitten und Bräuchen, mit Lebenssicht und Gesellschaft der Inuit wenigstens ansatzweise vertraut ist. Hier entfaltet sich das Geschehen vor einer Gesellschaft, die ohne Gefühl scheint, in der es keine ethischen Normen und Werte gibt, es sei denn, dem getöteten Tier gegenüber. Das Leben von neu geborenen Mädchen ist ebenso wenig wert wie das alter Menschen: als überflüssige Esser werden sie ausgesetzt in der Wildnis, Tieren zur Nahrung preisgegeben. Das Zusammenleben von Mann und Frau erfolgt nur unter dem Gesichtspunkt sexueller Begierde und Lust, gedämpft von der Angst der Männer vor einer unbestimmbaren Macht der Frau. Menschenverachtung, ein Verhalten ohne Moral und Ethik aus unserer Sicht, rohe Gefühle, wenn überhaupt Gefühle - das bildet eine Welt, die jüngeren Jugendlichen nicht unbedingt zu vermitteln ist.
Ina Vandewijer erzählt die Geschichte eines Mädchens, das auszusetzen die Mutter sich weigert. Fortan gilt das Kind als Tabukind, bleibt ohne Namen - den wird sie erst erhalten, als sie selbst bei ihrem erstem und lustvollen Beischlaf schwanger wird: Anana - Mutter. Versteckt von der Mutter, da die Kinder des Klans in ihrer unemotionalem Gefühllosigkeit sie nur zu gern töten und verfolgen wollen, lernt sie auch nur bedingt die Sprache. Sie wächst auf ohne Zuneigung, gehasst vom Vater, verachtet von den anderen. Bis sie eines Tages unter Einsatz ihres Lebens einen Seehund tötet und dabei ihren kleinen Finger verliert. Fortan ist sie “die mit nur einem kleinen Finger” und wird vom Vater eingewiesen in ein Leben, das ansonsten Jungen vorbehalten ist.
Die mit nur einem kleinen Finger meistert ihr Leben; baut sich ihre Welt aus dem, was sie sieht und hört und wahrnimmt. Es ist eine Gesellschaft ohne Tabus, in der die Männer ihrer Lust nachgehen, Frauen nehmen, Tiere töten. Das Mädchen wächst an ihrer Einsamkeit, trotz Ausgrenzung und Verachtung, findet nach und nach einen Platz in dieser Gesellschaft, entdeckt ihre Fähigkeiten und wird gar zur Schamanin. Eines Tages folgt sie gar dem Ruf ihres Herzens, nicht nur der Lust.
Was dazu bewegt, Buch und Hörfassung für Jugendliche nur bedingt zu empfehlen, ist das absolute Fehlen von europäischen, christlichen Wertvorstellungen, ist die Gleichgültigkeit einer a-moralischen Welt. So bewegend und ereignisreich das Geschehen, die Träume, die Visionen, die geflüsterten Mythen sind, so unpersönlich bleibt die Stimme Gudrun Landgrebes und bildet damit einen faszinierenden Gegensatz. Nur so, in innerer Distanz, ist das Geschehen aushaltbar, mit einem Blick von außen, der dem Hörer keine Identifizierung mit Anana erlaubt.

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Diese Rezension wurde verfasst von avn.
Veröffentlicht am 01.01.2010