Als der Krieg nach Rondo kam

Autor*in
Romanyschyn, Romana
ISBN
978-3-8369-6203-2
Übersetzer*in
Semenets, OksanaDathe, Claudia
Ori. Sprache
Ukrainisch
Illustrator*in
Lessiw, Andrij
Seitenanzahl
36
Verlag
Gerstenberg
Gattung
BilderbuchBuch (gebunden)
Ort
Hildesheim
Jahr
2022
Lesealter
6-7 Jahre8-9 Jahre10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Büchereididaktisches Material
Preis
16,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Die fiktive Stadt Rondo lebt mit Blumen, Musik und Kultur. Einwohner sind kleine einfarbige Fantasie-Wesen. Sie bleiben bis auf zwei Doppelseiten eher im Hintergrund. Drei Figuren symbolisieren ihr Leben. Sie könnten direkt der Fantasie von Kindern entstammen. Die Protagonisten im schönen Rondo sind: ein Luftballon-Hündchen, ein aus einem Druck gefalteter Vogel und eine helle Leuchtfigur mit durchscheinendem Herzen. Der Krieg mit seinen Helfern zeigt seine Figuren nicht. Alles ist im Dunkel.

Beurteilungstext

Der Titel deutet nicht nur an, dass Rondo gefährdet ist. Die ersten Eindrücke der kreisförmig angelegten Stadt, mit den Hinweisen auf Blumen, angelegte Gärten, Gewächshäuser, historische Bauten und Labyrinthe, sprechen eine eindeutige Sprache. Es muss schön sein in diesem Rondo. Das ist zu erkennen, obwohl es keine wirklichen Bilder oder konkrete Zeichnungen zur Stadtanlage gibt. Alles bewegt sich im Raum der Vorstellung.
Daher verwundern auch die kleinen sehr sehr unterschiedlichen Figuren nicht. Sie sind gut befreundet. Wahrscheinlich lesen sie sogar Gedichte oder hören die Musik der Stadt. Dankos hell scheinender Körper zeigt ein großes Herz und ein freundliches Lachen. Fabian, der Hund und Nachfahre von Schatzsuchern, muss aufpassen, nicht weggeweht zu werden. Damit er in Rondo bleiben kann, trägt er ein Medaillon zur Beschwerung. Zirka ist oft geflogen und hat Notizen und Zeichnungen angefertigt von ihren Reisen. Der Druck aus dem sie besteht, scheint eine alte helle Landkarte zu sein. Alle drei halten irgendwie die gesammelten Erinnerungen und das Wissen zusammen.
Die Hymne der Stadt bringt alle Blumen zum Erblühen, wenn sie sich dem Licht zuwenden. Die Bilder und Zeichnungen der ersten Seiten drücken Harmonie aus.

Umso erschreckender, als sich beim Umblättern eine dunkle, fast schwarze Doppelseite zeigt mit der schwarzen Schrift „der Krieg“ und der weißen Ergänzung „kommt in die Stadt". Panzer, Wegmarken, Hubschrauber und auf den neuen Seiten schon Bomben und Zerstörung. Hell in der Düsternis sieht nur der traurige nur Danko nach oben zum zu starken Gegner. Auf zwei Seiten ist ein übergroßer menschlicher Arm zu erkennen.
Die Freunde - bunt auf dem Schwarz erkennbar - reden mit dem Krieg, sie wehren sich und werden verletzt. Mit diesem Gegner ist nicht zu reden. Er ist nicht wirklich zu erkennen und „verschont niemanden“. Panzer und Flugkörper fahren ins Bild. Es sind viele.
Tag für Tag und Seite für Seite geht der Schrecken weiter. Der Krieg lässt sich durch die Bewohner nicht stoppen, „denn er hatte kein Herz“ und ließ nur schwarze Blumen wachsen.

Mit dem Schein seiner Fahrradlampe bescheint Danko die Blumen im Gewächshaus und einige der bunten Blütenköpfe öffnen sich tatsächlich. Der Schein lässt den Krieg kurz innehalten. Darko stimmt die Hymne der Stadt an. Das könnte die Lösung bedeuten. Es reicht jeder kleinste Lichtstrahl für das Erblühen neuer Blumen und sie müssten alle zusammen singen. Es gelingt.
Nun tun alle, was sie am besten können. All die winzigen Wesen drehen an unterschiedlichsten Rädchen und Verbindungen. Sirka markiert auf ihrer Körperkarte bei Aufklärungsflügen jede wichtige Veränderung und trägt die Teile für eine Lichtmaschine zusammen.
Sie nehmen die Maschine in Betrieb und singen zusammen mit all den anderen Einwohnern und Blumen die Hymne von Rondo.

Der Krieg erstarrt und zieht sich zunehmend zurück. „Das war Sieg!“
Rondo wird wieder aufgebaut, doch die echten Narben sind geblieben. „Die Bewohner waren nicht mehr dieselben“. In der veränderten Stadt wachsen bis heute nun „überall … rote Mohnblumen“.

Das Buch der Künstler erschien schon 2015, doch nicht in deutscher Übersetzung. Heute ist es aktueller denn je. So mag an die Kraft des Lichts und der Musik im Augenblick (seit Februar 2022) wohl kaum geglaubt werden können. Als Metapher des Trostes, des Neubeginns aber, kann sie irgendwann dienen, wenn das Kriegsgeschehen nicht gerade die eigene Stadt betrifft. Mohnblumen sind seit 1914 ein starkes Symbol und die Kraft der Gedichte kennt man von vielen Erzählungen Überlebender von Konzentrationslagern und aus Schützengräben.

Mit unbeteiligten kleinen Kindern den Text zu besprechen, verlangt enormes Vertrauen. Die dunklen Bilder des Krieges sind so überwältigend, dass zu überlegen ist, ob Angst vor so einer Macht nicht allen Lebensmut erschüttern könnte. Aber es gibt mindestens seit den Bosnien-Kriegen immer wieder Kinder in den Klassen, die genau dieses Erleben oder Fluchterfahrungen mitbringen. Sie haben Familien, in denen solche Traumata ihre Wirkung haben oder sind aus Syrien, dem Irak, Afghanistan oder der Ukraine geflohen und sehen Nachrichten aus der alten Heimat. Andere Kinder haben u. U. "nur" die Bilder vom heutigen Krieg gesehen oder sind nur vom Hören solcher Schrecken so verunsichert, dass es nötig ist, das Thema vorsichtig anzusprechen. Kinder müssen darin unterstützt werden, wieder Musik zu machen, Blumen zu pflanzen und Licht zu sehen.
Das künstlerisch hervorragend erdachte und gestaltete Buch könnte gute Gegenbilder im Kopf erzeugen. Auf menschliche Figuren verzichten die Künstler in den Zeichnungen. So schaffen sie eine Distanz zu den Protagonisten und kommen ihnen nicht zu nah.
Dass es Freundschaft ist, die trägt und zusammenhält, wird als abstrakter Wert vielleicht leichter zu verstehen sein können, wenn das Medium die abstrakte Form nutzt.
Das Buch kommt mit wenig Text aus. Die oft lyrische Form wirkt unmittelbar und ist für Kinder verständlich, vielleicht sogar notwendig.

Über Werte wie Freundschaft, über Hoffnung und Neubeginn lässt sich mit dieser Grundlage sicher auch auf anderen Ebenen leichter neu - auch abstrakt - nachdenken. Die konkreten verlorenen, vermissten oder verletzten Menschen mag sich Jede und Jeder dann vorstellen, wenn es für Betroffene richtig zu sein scheint. Die empathische Arbeit mit dem Buch bleibt dennoch eine schwierige Aufgabe.

Anmerkung

Schule (nicht ohne genaue Vorbereitung und Analyse der Gruppenstruktur), Stuhlkreis, Arbeit in der Flüchtlingshilfe
obere Klassen/Stufen: Kunstunterricht, Musikunterricht
Projekte

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Diese Rezension wurde verfasst von stoni; Landesstelle: Nordrhein-Westfalen.
Veröffentlicht am 11.01.2023