Alle Farben grau

Autor*in
Schäuble, Martin
ISBN
978-3-7373-4329-9
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
270
Verlag
FISCHER KJB Sauerländer Duden
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Frankfurt am Main
Jahr
2023
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüreKlassenlektüre
Preis
15,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Was ist, wenn man sehr schlau und intelligent ist? Keine richtige Beziehungen zu anderen aufbauen kann? Sehr schnell Japanisch lernt und in Mathe ebenso intelligent ist? Was ist, wenn sich alle Diagnosen zu einer verdichten? Und wenn dann immer öfter eine negative Stimme im Kopf zu hören ist, die Angstzustände auslöst? Ein verstörendes, zugleich erhellendes und wichtiges Buch über Autismus und über ein mögliches Ende.

Beurteilungstext

Martin Schäuble ist den Leserinnen und Lesern als Autor von dystopischen Romanen bekannt: Sein Reich, Cleanland, Godland, ... um nur die letzten zu nennen. Er ist auch der Autor von den SF-Romanen "Die Scanner" und "Die Gescannten" Auf Grund seiner Dissertation von 2011 "Dschihadisten - Feldforschung in den Milieus" hat er Jugendsachbücher zu diesem Thema publiziert, die auch für Erwachsene gedacht sind. Sein neuester Jugendroman - wobei auch hier das Lesealter nach oben offen ist - behandelt das Thema Suizid bei einem Jugendlichen. Wobei hier der Schwerpunkt auf einem autistischen Jugendlichen und seiner Vorgeschichte liegt.
Martin Schäuble hat einen realen Fall recherchiert und aus den Infos einen Jugendroman zusammengefügt, der an Spannung und Mitgefühl wächst. Im Juni 2020 hat sich ein 16jähriger Junge in Frankfurt/Main das Leben genommen. Dieser Junge (Emil) hatte eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS), die erst zwei Monate vor seinem Suizid diagnostiziert worden ist.
Im Roman heißt der Junge Paul, ist hochintelligent, lernt in großer Geschwindigkeit Japanisch, wühlt sich durch Mathebücher, die erst viel später im Lehrplan oder gar erst an der Uni vorgeschrieben sind, nervt aber auch seine Mitschüler:innen mit seinen Vorträgen und Einzelheiten über Musiker wie David Bowie oder Uriah Heep. Und in seinem Kopf wächst eine Stimme, die immer lauter wird. Es ist keine positive Stimme. Sie macht Paul klein, nennt ihn einen Versager, einen Looser und sie nimmt immer mehr Einfluss auf sein Leben und sein Verhalten.
Der Autor erzählt Pauls Leben aus verschiedenen Perspektiven - aber immer in der Ich-Perspektive. So bekommt man mit, welchen Eindruck er auf die anderen hinterlassen hat. In diesem Reigen der Erzähler:innen steht sein Freund aus den Kindergartentagen, seine Mitschülerin aus dem japanischen Internat, wo er ein Jahr lernen wollte und seine Freundin aus der Jugendpsychiatrie. Paul erzählt ebenfalls - aus seiner Sicht. Diese Erzählpuzzelteile sind nicht chronologisch geordnet. Hilfreich ist die zeitliche Zuordnung zu Beginn des neuen Puzzleteils. Aus diesen Bruchstücken kann man das immer chaotisch werdende Leben Pauls zusammensetzen. Ein Leben, das mit einer psychischen Störung zu kämpfen und noch eine schwere Depression zu verarbeiten hatte. Selbst eine Einweisung in eine psychiatrische Jugendklinik hat hier nicht mehr helfen können. Paul hatte längst seinen Abschied geplant und bei passender Gelegenheit auch konsequent durchgeführt.
Martin Schäuble hat ein Buch geschrieben, das - wie der Vater des Frankfurter Jungen Emil sagt - "jungen Menschen helfen [soll] in Zeiten, in denen sie selbst oder ihr Umfeld mit psychischen Erkrankungen konfrontiert sind." Ein Roman, den man lesen sollte, alleine oder besser gemeinsam in der Klasse oder in Leseclubs. Der S. Fischer Verlag hat zu diesem Zweck eigene Schulmaterialien zu dem Buch über psychische Erkrankungen bei Jugendlichen erarbeiten lassen. Sie kann man mit Hilfe eines QR-Codes ermitteln. Er ist auf Seite 263 angegeben. Und zu Beginn des Buches wird bereits auf Telefonnummern und Mailanschriften im deutschsprachigen Raum hingewiesen. Eine absolut wichtige Ergänzung.
Doch man darf jetzt nicht in den Fehler verfallen und meinen, dass alle, die an ASS leiden auch zugleich Suizid begehen. Das wäre absolut verkehrt und nicht im Sinne des Autors. Es geht um Suizid bei Jugendlichen. In seiner Danksagung (S.264) sagt Martin Schäuble selbst: "Jeder kennt jemanden, den das betrifft." So gab es 2023 laut "Statistisches Bundesamt" 192 Suizidtote im Bundesgebiet bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 10 bis 20 Jahren. Und es wurden 450 bis 500 Suizidversuche registriert. Zur Einordnung: Es leben etwa 10 Millionen Kinder und Jugendliche in diesem Alter in Deutschland. Damit ist Suizid immer noch die zweithäufigste Todesursache. Martin Schäuble weiß um diese Zahlen. Und er bedankt sich bei Menschen, die ihm von ihren Problemen erzählt haben (S. 264 f). "Sie berichteten über ihre Zeit in einer Klinik als Patient*innen oder als Mitarbeiter*innen. Sie erzählten von eigenen Depressionen, von anderen psychischen Erkrankungen oder auch von ihrem Leben mit Autismus - als Betroffene oder als Angehörige."
Martin Schäuble hat diesen einen Fall als Beispiel herausgegriffen. Vielleicht hätte man das zu Beginn des Buches kommunizieren sollen - wäre hilfreich gewesen.

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Diese Rezension wurde verfasst von Walter Mirbeth; Landesstelle: Bayern.
Veröffentlicht am 14.01.2024