Alle Farben grau

Autor*in
Schäuble, Martin
ISBN
978-3-7373-4329-9
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
272
Verlag
FISCHER KJB Sauerländer Duden
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Frankfurt am Main
Jahr
2023
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiKlassenlektüre
Preis
15,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Paul ist hochbegabt, aber ziemlich eigen. Er meidet enge Kontakte zu Mitmenschen, hat einen besonderen Musikgeschmack, lernt Japanisch, schläft im Internat im Schrank, mag keinen Alkohol, konsumiert stattdessen lieber Gras. Seine Familie und Freunde kommen dennoch einigermaßen gut mit ihm klar. Als Paul jedoch seinen Selbstmord ankündigt, wird er in die Akutpsychiatrie eingewiesen. Im Nachhinein wird allen Beteiligten klar, dass sie Pauls Probleme zuvor falsch eingeschätzt und vieles übersehen haben. Die unendliche Trauer bleibt, aber auch so manche Einsicht, was anders hätte laufen können - auch dann, wenn der Suizid wohl nicht zu verhindern war.

Beurteilungstext

Martin Schäubles Roman „Alle Farben grau“ ist nach einer wahren Geschichte entstanden. Es geht darin um den Selbstmord des 16-jährigen Paul. Er kommt aus einer eigentlich „heilen“ Familie, hat zwei Schwestern und Eltern, die sich um ihn sorgen und seine teils sonderbaren Angewohnheiten tolerieren. Paul gilt eher als Einzelgänger, fühlt sich in der Schule unterfordert und mit seinen Interessen von seinen Mitschülern oft missverstanden. Er hört Stimmen und glaubt, dass er von seinen Mitmenschen nicht ausreichend wahrgenommen und wertgeschätzt wird. Eine psychiatrische Behandlung hat bislang wenig bewirkt. Paul, dem Autismus mit Asperger-Syndrom und zudem eine stark ausgeprägte Depression diagnostiziert werden, macht sich zunehmend Gedanken um den Tod, ganz besonders seinen eigenen. Mit 16 Jahren werde er sich umbringen, das hat er schon vor langer Zeit angekündigt. Aber niemand nimmt dies wirklich ernst. Als er seiner Mutter sogar den genauen Zeitpunkt dafür eröffnet, kommt er in die Akut-Psychiatrie, wird aber aufgrund seines mutmaßlich deutlich verbesserten Verhaltens schnell wieder entlassen. Doch tatsächlich lässt sich Paul durch nichts von seinem Suizid abbringen.
Im Buch wird Pauls Geschichte nicht chronologisch, sondern in episodischen Kapiteln aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt. Paul selbst kommt wiederholt zu Wort. Er erzählt davon, dass er die Welt um sich herum nur in Grau wahrnimmt. Ihm ist bewusst, dass er mit seiner niederschmetternden Diagnose auf Dauer nicht zurechtkommen wird. Sein Todeswunsch besteht schon früh, wird immer konkreter. Und er ist clever genug, seiner Umgebung vorzuspielen, dass es ihm besser ginge – nur um dadurch seinen geplanten Suizid auch konsequent umzusetzen. Im Buch wird der Todestag symbolisiert durch eine einzige komplett schwarze Seite (S. 237/38). In den beiden nachfolgenden Kapiteln kommen dann nur noch die Eltern und Pauls Freund Noah zu Wort, die sich Gedanken machen über mögliche Versäumnisse, aber auch versuchen, das Erlebte in irgendeiner Weise verarbeiten zu können.
Selbstmord ist die zweithäufigste Todesursache bei jungen Menschen; neunzig Prozent derer, die Suizid verüben, haben eine psychische Erkrankung. Drei Viertel aller psychischen Erkrankungen entstehen in der Kindheit und in der Jugend. Auf diese erschreckenden Zahlen wird im Buch hingewiesen (S. 244). Daher sei es zwingend, dass diese Problematik weitaus mehr im Bewusstsein der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Denn die betroffenen Familien und Freunde, die eine derartige traumatische Erfahrung erleben müssen, schweigen oft aus Scham. Oder sie geben sich eine Mitschuld am Geschehen.
Der Autor hat quasi exemplarisch beschrieben, wie eine solche Situation entstehen könnte, in der sich ein junger Mensch das Leben nimmt, und wie die Personen im Umfeld davon betroffen sind, aber auch, wie sie achtsamer damit umgehen können und welche Möglichkeiten der Hilfe denkbar wären.
Martin Schäuble hat sich diesem sensiblen, aber etwa auch durch Pandemie- und Kriegsfolgen zunehmend aktuellen Thema sehr feinfühlig angenähert. Er lässt unterschiedlich Beteiligte mit ihren Gefühlen und Beweggründen zu Wort kommen, verzichtet aber auf alles Reißerische oder Voyeuristische: Über nähere Einzelheiten des Suizids lässt er sich nicht aus; das Buch soll keinesfalls als "Rezept" für eine derartige Vorgehensweise dienen. Daher wird im Anhang kurz auf mögliche Hilfsangebote verwiesen.
Das Buch ist für Heranwachsende ab 14 Jahren geeignet, ganz besonders dann, wenn eine vergleichbare Situation im Umfeld oder gar eigene Selbstmordgedanken vorliegen sollten. Es kann auch sehr gut - sowohl präventiv als auch ggf. zur Aufarbeitung eventueller Fälle - als Lektüre im Unterricht der Mittel- und Oberstufe verwendet werden.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Gerd Klingeberg; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 09.09.2023